INVENTIONEN'85 Sonntag,
3.2.1985
7. Konzert: Raecke / Ranta 20:00 Uhr
TU-Gebäude Ackerstraße
Musik für drei Stunden
In der Zeit bis 1980, in Berlin/DDR lebend, habe ich ca. 70 einfache und bis an die Grenze des klassischen Instrumentenbaues heranreichende Blasinstrumente und kombinierte Blas-Saiteninstrumente entwickelt und sie in Konzerten, Rundfunkproduktionen, Hörspielmusiken usw. eingesetzt. Jetzt in der Bundesrepublik bei Heidelberg zu Hause, setze ich diese Arbeit fort.
Sowohl bei Ranta wie bei mir spielt die elektronische Klangerzeugung, gewissermaßen als Gegengewicht zu unserem "biologischen" Instrumentarium, eine wichtige Rolle. In Mu3 von Ranta z.B. wird eine lange elektronische Bandmontage unmerklich durch Schlagwerk-Aktionen auf der Bühne übernommen und solistisch zu Ende geführt. In meinen Stücken "So ... ?" und "Protonenaufgalopp" erfolgt eine elektronische Bandzuspielung mit Material vom Synclavier II. Im Stück "Biotron", 1979 im Experimentalstudio des Polnischen Rundfunks in Warschau entstanden, dienen 5 meiner Instrumente als Ausgangspunkt für verschiedene Grade elektronischer Klangtransformation (instrumental erkennbar, noch erkennbar, nicht mehr erkennbar); dazu Klänge des großen Moog-Synthesizers. In "Technische Landschaft" werden elektronische Klänge mit "Naturklängen" verbunden; dazu kommt die menschliche Stimme. Darüber hinaus wird in einigen Stücken, auch stellenweise in den Improvisationsteilen, mit Live-Elektronik gearbeitet; im Mittelpunkt steht dabei ein Digital-Delay.
Hans Karsten Raecke
selbstbau-klangerzeuger.
(blasrohr- und saiteninstrumente)
nicht vorgefasste absichten,
nicht theoretische Vorentscheidungen
bestimmen den bauvorgang,
sondern ein natürliches wechselspiel mit dem material.
sich überraschen lassen
durch bauergebnisse
und darauf aufbauend
ideen und musikalisches anliegen
ableiten.
so sind konstruktion und bau
gleichzeitig
improvisatorische- und
präkompositorische arbeitsvorgänge
nach unbestimmtheit,
bzw. geplantem zufall;
HKR
der unbestimmtheit folgt die natur,
der natur folgt meine körperlichkeit,
meiner körperlichkeit folgt die handgröße,
meiner handgröße folgen die griffmöglichkeiten der finger,
meinen fingern folgen die bohrlöcher im blasrohr-material,
den bohrlöchern im blasrohr-material folgen die tonhöhen,
den tonhöhen folgen die zusammenhänge,
den zusammenhängen folgt die improvisation,
meiner improvisation folgen nach-klang und stille, bleibendes und verlöschendes, gesichter und gesichtsloses, gestalten und gestaltloses;
dem gestaltlosen zuwider folgt die komposition,
meiner komposition folgt die interpretation,
meiner interpretation folgt das urteil,
dem urteil folgen glanz und elend,
glanz und elend folgen der unbestimmtheit,
der unbestimmtheit folgt die Natur.
HRK
"Dimmer Piece" wurde 1974 mit Harmut Geerken in Kabul, Afghanistan, im Rahmen der "Multi-Media Improvisations" des Goethe-Instituts uraufgeführt. Danach folgten weitere Aufführungen in Japan mit Toshi Ichiyanagi und Takehisa Kosugi. Die europäische Erstaufführung fand 1980 im Historischen Museum Hannover statt.
"Dimmer Piece" besteht aus einer Partitur für 6 Dimmer (Helligkeitsregler), die ihre genauen Bewegungen im Zeitablauf bestimmt. Dazu improvisieren 1-3 Musiker zu einem Zuspielband. Zur Entstehungszeit von "Dimmer Piece" wollte ich eine direkte Verbindung zwischen Licht (Helligkeitsgrad) und Klang schaffen. Dies war jedoch mit der damaligen Technik nicht möglich (oder zumindest kannte ich keine Möglichkeit). So bestanden die früheren Aufführungen aus Helligkeitsveränderungen und Klängen vom Band sowie live, die nur lose Beziehungen zueinander hatten.
Erst als die Digital-Technik auch Live-Modulation ermöglichte, konnte man Licht mit Klang direkter verbinden: Licht wird in eine Spannung umgewandelt, die dann in Realzeit einen "Harmonizer" steuert - je heller das Licht, desto höher werden die live-gespielten und vom Tonband zugespielten Klänge moduliert.
Michael Ranta