INVENTIONEN'85 Samstag,
9.2.1985
12. Konzert: Musik aus Holland 17:00 Uhr
TU-Gebäude Ackerstraße
"Syntaxis" ist eine radiophonische Komposition, geschrieben 1965/66 im Auftrag der Rundfunkgesellschaft VARA. Im engen Sinn bedeutet "Syntaxis": Zusammenfügung von Worten und Tönen zu einem sinnvollen Zusammenhang.
Wort und Ton formen zusammen das Material, auf dem die Komposition beruht. Das Wort wurde hierbei als Klangquelle benutzt. Aufgrund der phonetischen Eigenschaften selektierte der Komponist sechzig solcher Klangquellen auf Tonband, die vom niederländischen Weltfunk zur Verfügung gestellt worden waren.
Das Tonbandmaterial stammt von im Voraus gemachten Aufnahmen einer Sängerin, präpariertem Klavier, Orchesterklängen, elektronischen Geräuschen und Materialklängen wie Holz, Metall, Wasser usw. Man bemühte sich, alle verschiedenartigen Geräusche von einem zentralen Gedanken aus aufzubauen, mit anderen Worten, eine Klangstruktur zu realisieren, die die dualistischen Gegensätze zwischen Musik und Sprache, Instrumenten und Elektronik ausgleichen könnte. Es entsteht eine ausgedehnte Skala von Beziehungen zwischen den sogenannten Komponenten vom Kontrastieren zum vollständigen Verschmelzen. Wort und Ton werden durch die fortwährende Wechselwirkung neu beleuchtet. Die Musik hat eine phonetische Verlängerung und ihre Möglichkeiten werden dadurch klarer. Das Wort wird transformiert und lebt als ein Klangobjekt mit einer ganz eigenen und charakteristischen Wirkung.
Für den Komponisten war dies einer der wesentlichen Ausgangspunkte. Durch die Bedeutung der Sprache tritt ein anderer Aspekt hervor. Denn im reinen Klang der Sprache erfährt man die Vollkommenheit und die Geschmeidigkeit dieses Mediums als menschliches Instrument ganz besonders. Die Härte oder die Milde eines Wortes, die Biegung einer Intonation, die Wonne eines flüssigen Satzes, die Eckigkeit eines Befehls, die Farbe einer Männer-, Frauen- oder Kinderstimme bedeuten eine Fülle auditiver Signale, die wir noch unbelastet wie in einem Urzustand erfahren, noch im Banne einer verlorengegangenen, gemeinschaftlichen Ausdrucksquelle.
"Midare" ist der Titel einer klassischen japanischen Koto-Komposition des 17. Jahrhunderts. "Midare" bedeutet: in Verwirrung, ohne regelmäßige Konstruktion, (scheinbar) nicht organisiert.
Von der Struktur aus betrachtet, besteht dieses Werk aus einer Reihe freier Variationen, deren technische Möglichkeiten und vermutete instrumentale Klangschattierungen im Höchstmaß benutzt werden. Die Notation ist zum Teil traditionell und zum Teil graphisch. Dem Solospieler wurde dynamische Freiheit gelassen; ein einziges Mal wurden Intervalle nur kurz angegeben oder die Freiheit in Bezug auf die Reihenfolge kurzer Motive eingeschränkt. Klangvariationen werden durch Schlegelwechsel realisiert.
"Midare" wurde im Winter 1972 komponiert und im April 1973 im Rahmen des Gaudeamus Interpreten-Wettbewerbs uraufgeführt.
"Magic of Music" ist eine Komposition für 4 Stimmen - eine Live-Stimme und 3 auf Tonband. Der Text wurde einer indianischen Musiktheorie und indianischen Mythen über die Entstehung der Musik entlehnt. Die Komposition gründet sich auf komponierte Motive, deren Reihenfolge frei von den Ausführenden zu bestimmen ist.
Nicht die Opposition, sondern die Integration der instrumentalen und elektrischen Geräusche ist zentral in diesem Werk. Einerseits empfindet man den Charakter vieler elektronischer Passagen durch die besonders detaillierte flexible Formgebung als fast lebendig, andererseits macht die Bassklarinette Kurven, die an bestimmte elektronische Schaltungen erinnern. Die musikalischen Geschehnisse entfalten sich langsam in großem Zeitraum, daneben gibt es viele Wiederholungen mit fortwährenden und subtilen Varianten. Die sich träge hebenden und senkenden Linien, die hohen Ebenen, wo die Musik scheinbar stockt, haben mir jedenfalls den Titel in die Hände gegeben: Berge
Echos der Volksmusik durchtönen die Musik, zeitlos und nicht lokalisierbar, verschmolzen mit dem zeitgenössischen Idiom und den benutzten elektronischen Mitteln. Das Tonband wurde mittels spannungsgesteuerter Apparaturen im elektronischen Studio des Komponisten produziert.
Es war das Bestreben, alle vorkommenden Varianten nach einem vorher bestimmten Programm hervorzubringen.
"Clair-Obscur" wurde 1981/82 im Auftrag der GRM komponiert. Der Titel verweist auf Rembrandt. Übersetzt in die Musik bezieht sich das Spiel von Licht und Schatten auf Klangmassen, die sich langsam entwickeln und deren Oberflächen fortwährend den Ton ändern. Die Musik ist wesentlich lyrisch und kontemplativ. Durch das elektronische Material hindurch hört man entfernte Echos alter Lieder und musikalische Bewegungen, die in der Zeit verschwimmen. Der kontemplative Charakter, der aus diesem Werk emporsteigt, ist durch die Suche nach der Stille hinter der Musik entstanden. Das Suchen nach Klang – Träger der Stille – impliziert ein sich radikales Absetzen vom leeren Lärm unserer Konsumgesellschaft.
"Solo Identity" wurde 1972 komponiert. Der Komponist möchte keinen Kommentar geben. Es scheint unmöglich, den Produktionsvorgang zu beschreiben. Da Musik meist auf non-verbalen Begriffen basiert, ist kein Mensch heute in der Lage, richtig mit diesen zu verfahren. Außerdem bin ich der Meinung, dass man beim Zuhören keine Fachkenntnisse braucht. Jeder Zuhörer soll nur zuhören und sich etwas dabei denken. Wenn er das Richtige denkt, wird die Musik sein Denken einfangen und in die richtige Richtung weisen. Die Gedanken, die sich in diesem Prozess formen und entwickeln, könnten effektiver sein als die Begriffe, die vorher aufs Tapet gebracht werden.
"Naira" ist der dritte Teil der Komposition "Triptiek", die aus den Teilen "Murea", "Varana" und "Naira" besteht. Diese Titel verweisen ausschließlich auf die Teile dieses Werkes und haben darüber hinaus keinen Realitätswert. Sie spiegeln nur den Wunsch des Komponisten wider, eine Anzahl autonomer Klangwelten zu schaffen.
Für jedes dieser drei Stücke wurde eine beschränkte Menge Klangmaterial verwendet. Von diesem Material, das ausschließlich elektronischen Quellen entnommen wurde, sind mittels verschiedener Bearbeitungen neue Klänge gemacht worden. Hierdurch entstanden "Klangfamilien", die auch dafür Sorge tragen, dass ein bestimmtes Gleichgewicht gewährt ist, sogar bei großen Unterschieden in Klang- und Zeitstruktur.
Für die Herstellung einer Anzahl Grundmaterialien wurden verschiedene Formen der Frequenzmodulation verwendet. Um diese Modulation richtig steuern zu können, wurden die Modulationsprogramme mittels sogenannter Burstgeneratoren angewandt.
Eine Anzahl dieser Modulationsprogramme wurde derartig zusammengestellt, dass hiermit dem zu modulierenden Signal zugleich eine rhythmische Struktur gegeben wurde. In Verbindung mit Bandverzögerung und Rückkopplung ist auf diese Weise eine ziemlich komplexe und trotzdem gut kontrollierte Polyphonie entstanden.
"Bande Amorce" wurde 1983 im Studio des Sweelinck Konservatoriums vollendet. Verwendet wurden analoge und digitale Computerklänge und konkrete Geräusche, wobei die Abgrenzung zwischen diesen Klängen und den Geräuschen immer weiter abgebaut wird. Der Titel "Bande Amorce" ist französisch für Vorlaufband und hat nichts Wesentliches zu bedeuten. Er wurde nur wegen der Assoziation mit "Amore" gewählt.