Paul DeMarinis

›Firebirds‹ ›Tongues of Fire‹

Meine Arbeit führt oft durch unbeschrittene Gebiete der Kommunikationstechnologie, wo das Zusammenspiel von Bedeutung, Materialität und Kodierung zu einem Tanz wird, in Figuren, die an das unbehagliche Mühen und Sehnen gemahnen, das unseren offiziell sanktionierten Begriffen von Nutzen, Effizienz und Konsumentenwünschen zugrunde liegt. Ich gedenke Fragen zu stellen über die Welt, die wir geschaffen haben, danach zu fragen, wie sich materielle Gerätschaften in persönliche Beziehungen einflechten, in unser Verständnis des physikalischen Universums und unserer Ursprünge, und auch in unsere Vorstellungen einer möglichen Zukunft.

Die beiden zusammengehörigen Arbeiten ›Firebirds‹ und ›Tongues of Fire‹ beschäftigen sich unter einer Vielzahl von Aspekten technischer, historischer und metaphorischer Art mit dem Machtkomplex der Beziehungen zwischen Feuer und Rede. Beim Sprechen, Hören, Lesen, und wenn es uns in die Tiefen der Konversation verschlägt, wird nicht immer klar, dass Rede aus Klang besteht. Im 20. Jahrhundert haben jedoch die elektronischen Medien, insbesondere der Rundfunk, die für unsere Kultur gültige Wahrnehmung der Beziehung von Klang und Rede umgestaltet. Sicherlich hat die Transformation von Rede in Signale, von Signalen in Wellen, in Aufzeichnung und Abstrahlung, verdeutlicht, dass Bedeutung immer zu Klang gerät, Klang zum Signal, Signal zu Rauschen und immer so weiter. Und nicht weniger technologisch ist, all ihrer Macht und ihren Schrecken zum Trotz, der Weg, den die Stimme der politischen Führer einschlägt. Letztlich ist sie nichts weiter als eine Welle in der Luft, eine Vertiefung in der Rille. Im Klang mit all seinen Begleitartefakten von Aufnahme, Übermittlung und Empfang wird dies deutlich.

Zur Ausformung bedarf jegliche Sprachübermittlungstechnologie ihrer technischen und sozialen Umstände, aber auch ihrer je speziellen Rezeptionsbedingungen. Das Telephon funktioniert in Echtzeit, bidirektional und vertraulich; eine telephonische Unterhaltung stellt eine Vertraulichkeit innerhalb der Vertraulichkeit der häuslichen Umgebung dar; nach wie vor fühlen wir uns nicht wohl mit Telephonlautsprechern und Konferenzschaltungen. Die Rezeption des Phonographen kann zum kollektiven Hören eingerichtet und auch aufgeschoben werden. Das Radio erzwingt eine kollektive Echtzeit-Rezeption. Dabei gibt es außer der radiophonen Stimme kein Bezugsobjekt, abgesehen vielleicht von einem grandiosen Holzschrank mit still vor sich hin glimmenden Röhren. Vor dem Aufkommen des Radios hatte die politische Ansprache im Außenraum zu verbleiben, auf den Plätzen und in den Versammlungshallen. Indem Rede zu Klang wurde, zu Signal, Welle, Signal und wieder zu Klang, wurde das häusliche Leben politisiert. Die Stimme der Führer erobert den privaten Bereich von Haus und Herd.

Man führe sich den Lichtbogen der Funktechnologie vor Augen, seit seinem frühesten Glimmen in der Vorstellung von Physikern wie Branly, Crookes und Lodge, die sich alle ernsthaft der Kommunikation mit Seelen und Geistern widmeten, über Marconis kommerzielle Errungenschaften, über die Zeit der Funkamateure, als jeder Knabe von seinem eigenen Kommunikationsmodul träumte, um mit Gleichgesinnten reden zu können, sich romantische Beziehungen über weite Entfernungen vorstellte oder Sende-Streiche ersann (junge Kerle morsen die falsche Koordinaten der sinkenden Titanic ), über das militärische Monopol im Ersten Weltkrieg, die Ära der ersten Rundfunksendungen, die Hoch-Zeit des Radios in den 1930er Jahren, als die Stimmen der politischen Führer den kommunalen häuslichen Raum weltweit eroberten, die Zeit des Mittelwellenrundfunks, Rock and Roll, und zuletzt die Erbschaft der Funktechnik, die wir mit unseren Mobiltelephonen und Bluetooth-Peripheriegeräten antreten. Von irgendwo her musste dieses ganze gewaltige Nirgends wohl kommen. Einer der frühen Erfinder, ein einsamer und liebeskranker junger Mann, saß 1904 in seiner bescheidenen Behausung in New Haven und suchte nach der bahnbrechenden Erfindung, die ihn zu Ruhm und Glück katapultieren sollte. Als er auf seinem Hertz’schen Taster herumtappte, fiel ihm auf, dass die Flammen seines Gasleuchters mit jedem gesendeten »Kurz« oder »Lang« auf und ab hüpften. In der sicheren Gewissheit, einen radiowellenempfindlichen Empfänger entdeckt zu haben, entwarf er mehrere Patente für Geräte, die seine Entdeckung verkörperten. Lange vor der offiziellen Ausgabe der Patente aber wurde deForest klar, dass die Modulation der Flammen nicht durch Radiowellen bewirkt wurde, sondern durch den Klang seiner Morsetasten. So replizierte er, was schon LeConte und Tyndall in den 1850er Jahren entdeckt hatten. Ungestört, und besessen von der Idée fixe, dass die Flamme auf Hertz’sche Wellen reagierte, machte er weiter. Im Anschluss an jüngere Arbeiten von Ambrose Fleming in England und ältere von Elster und Geitel in Berlin begann deForest seine Experimente in Glasbehälter zu kapseln, er ersetzte die tanzende Flamme durch einen Glimmfaden. Ob durch Einsicht oder Hartnäckigkeit oder blindes Glück: 1906 gelang ihm die Herstellung des Audions, der Elektronenröhre, mithin eines effizienten Verstärkers, der bald das Radio zu einem so gewaltigen Medium werden lassen und das elektronische Zeitalter einläuten sollte, das, mit Fernsehen, Radar und Computer, einen Großteil des 20. Jahrhunderts bestimmte. Lee deForests Erfindung vergegenwärtigt uns einen Einschnitt zu einem Zeitpunkt – 1906, im Zeitalter des elektrischen Lichts –, als die Flammen der Kerzen und Gashähne überall in Glasflaschen gesperrt wurden, und als, zur gleichen Zeit, die vielen Worte und Botschaften, die die Kabel durchliefen, in den Maxwell’schen Raum ausbrachen, als Kommunikation auszustrahlen begann.

Die Flammen von ›Firebirds‹ sind ein Blick auf das Aufeinanderstoßen von Stimme, Bedeutung, materieller Einschreibung und kollektivem Raum, wie es sich, just zu jenem Zeitpunkt, für kurze Zeit ergab. Dass Klang direkt aus dem gasgefüllten Raum heraus entstehen kann, ohne die schwingenden Feststoff-Elemente des Lautsprechers: dieses Phänomen war seit den frühesten Tagen der elektronischen Technologie Gegenstand der Forschung. 1924 brachte die Berliner Lorenz AG ein »Kathodophon« auf den Markt, eine frühe Form des Entladungshochtöners, im Prinzip eine zur Luft hin offene und an ein kleines Horn gekoppelte Triode. In den frühen 1950er Jahren knüpfte der Franzose S. Klein an dieses Funktionsprinzip an und beschrieb einen elektrothermischen Hornlautsprecher. 1967 veröffentlichten Babcock, Baker und Cattaneo von United Technologies, Sunnyvale, einen Aufsatz in der Zeitschrift Nature, wo sie die in ›Firebirds‹ verwendeten elektrothermischen Übertrager beschrieben – eine mit Kaliumionen betriebene Gasflamme wird durch eine Spannung elektrisch moduliert und versetzt so die Luft in Schwingung. Indem die Luft in der unmittelbaren Umgebung der Flamme ständig erhitzt und abgekühlt wird, breiten sich Luftschallwellen aus, es entsteht eine omnidirektionale Schallquelle.

Die Stimmschriebe in ›Tongues of Fire‹ gehen auf eine frühere Epoche zurück, als, im 19. Jahrhundert, Koenigs manometrische Flamme als bedeutender Fortschritt der phonologischen Forschung galt. Solche Schriebe entstehen, indem man eine Gasflamme – vermittels eines in unmittelbarer Nähe der Gaszuleitung angebrachten Sprechrohrs – zu Schwingungen anregt. Ich habe mich nach den Beschreibungen in John Tyndalls Buch Sound gerichtet und eine Druckkapsel konstruiert und dann, nach dem Vorbild von Dayton Clarence Miller (später im 19. Jahrhundert), eine alte Balgenkamera zu einem Zeilenabtastgerät zweckentfremdet, das die Veränderungen der Flamme in Echtzeit auf einem 120er Ektachrome-Rollfilm aufzeichnet. Solche Bilder waren die Vorläufer der späteren Oszilloskopschriebe, und auch der graphischen Darstellungen unserer heutigen Audio-Software. Wiederum habe ich politische Reden verwendet, der Vertrautheit ihres Tonfalls wegen und weil sie als Erinnerungshilfe taugen, als Warnung vor den Gefahren des Feuers, sei es freundlich oder auch nicht.

Paul DeMarinis, San Francisco, 2. Juni 2004

Filme: http://web.stanford.edu/~demarini/Firebirds.mp4

Paul DeMarinis arbeitet seit 1971 als elektronischer Multimedia-Künstler; zahlreiche Performances, Klang- und Computerinstallationen und interaktive elektronische Erfindungen. Er trat u.a. auf in The Kitchen, New York, beim Festival d’Automne, Paris, in Het Apollohuis, Holland und bei der Ars Electronica, Linz; er komponierte Musik für die Merce Cunningham Dance Company. Seine interaktiven Arbeiten wurden u.a. im I.C.C., Tokyo, in der Bravin Post Lee Gallery, New York, im Museum of Modern Art, San Francisco, im Rahmen der Olympischen Spiele von Atlanta 1996 und bei der Expo’98 in Lissabon gezeigt; in Berlin war zuletzt seine Installation ›Rain Dance‹ im Rahmen der MaerzMusik 2003 zu sehen. Er war Artist-in-Residence am »Exploratorium« und am »Xerox PARC« und erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien der Sparten Musik und Bildende Kunst.
Er war 2009 Gast des BKP des DAAD.