Bemerkungen zum "Rundfunktag" im SFB

Acousmatic Visions

 

Das diesjährige Inventionen-Festival wird von einem Veranstaltungstag im Haus des Rundfunks eingeleitet. Kein Zufall, denn die konkrete Musik ist ein Kind der Hörspielpraxis.

Bereits 1943 hatte der Toningenieur Pierre Schaeffer in seiner achtteiligen Hörspielserie La coquille à planètes den Versuch gewagt, Text, Musik und Geräusch gleichberechtigt miteinander zu kombinieren. 1948 ging er einen Schritt weiter: diesmal versuchte er ganz auf den Text zu verzichten und die Geräusche für sich alleine stehen zu lassen. Ausschlaggebend für diesen Schritt war die Erkenntnis, daß mit der Audiotechnologie die hierarchische Unterscheidung von Klängen nach ihrer Herkunft aufgehoben war: Ob sie bewußt mit Stimme bzw. Instrument oder zufällig als Alltagsgeräusch produziert worden waren, stellte nun keinen prinzipiellen Unterschied mehr dar. Jeder Klang konnte durch seine Fixierung auf Tonträgern technisch verfremdet und in der Montage neu zusammengefügt werden. Die unterschiedlichen semantischen Ebenen ließen sich damit gleichwertig behandeln. Dieses Prinzip wurde Voraussetzung für die Entwicklung der konkreten Musik und wesentliches ästhetisches Element gegenwärtiger Radiokunst.

Der Rundfunk war die Wiege der konkreten Musik und blieb ihre Heimat. Die Rundfunkanstalten waren es, die den verschiedenen Komponisten- und Forschergruppen konkreter Musik Unterstützung und künstlerische Gestaltungsräume gewährten: Der Club d'Essai, aus dem 1951 die Groupe de Recherche de Musique concrète (GRMC) hervorging, wurde 1958 noch einmal in Groupe de Recherches Musicales (GRM) umbenannt, um den neuen Schwerpunkt der musikalischen Grundlagenforschung zu betonen. Die GRM hat bis heute ihren Sitz in der Pariser Maison de la Radio.

 

Das Berliner Hörspielstudio T 5 ist Schauplatz unterschiedlicher Veranstaltungen: Dem Concert concret I geht die Eröffnung der audio-visuellen Ausstellung Acousmatic Visions voran, eingeleitet wird der Rundfunktag mit zwei Vorträgen: Andre Smirnov, der Leiter des Moskauer Theremin Zentrums, berichtet von einem wenig erforschten Kapitel der Vorgeschichte der Musique concrète: dem russischen Futurismus der 1910er und 20er Jahre. Daniel Teruggi, seit letztem Jahr in Nachfolge von François Bayle Leiter der INA•GRM, referiert in seinem Seminar über die Entwicklung der konkreten Musik, ihre vielgestaltigen Werkzeuge und ihre ästhetischen Kriterien.