Der Komponist ist nicht immer die am besten geeignete Person, um ein neues Werk seinen Hörern vorzustellen. Zu oft verdunkeln die unmittelbaren Besorgungen und Zwänge des Kompositionsaktes seinen Blick auf Aspekte seines Stückes, die, vom Standpunkt des Hörers aus, größte interpretative Bedeutung beanspruchen dürfen. Die folgenden Bemerkungen zu meinem Dritten Streichquartett verstehen sich dergestalt nicht als allgemeine Erklärung musikalischer Bedeutung, sondern sie sollten vielmehr gesehen werden als eine· Reflexion von einigen der wichtigsten Faktoren, welche die Art beeinflusst haben, in der die Zwänge des kompositorischen Aktes aus meiner subjektiven Situation sowohl entstanden als auch durch sie artikuliert wurden.
Die endgültige Form dieses Quartetts ist ganz verschieden von dem, was ich zu Beginn geplant hatte. Ursprünglich (vor einigen Jahren) hatte ich eine fünfsätzige Struktur skizziert; im Ergebnis wurde diese zu einer zweisätzigen Anlage reduziert, innerhalb welcher der zweite Satz verschiedene andere Satztypen übereinander gelagert enthält. Größtenteils kann dieser Wandel wohl Fragen des musikalischen Gleichgewichts zugeschrieben werden; zur selben Zeit erlaubte mir die veränderte Perspektive, das Stück vor allem als Niederschrift zweier sehr verschiedener Reaktionen auf einen Zustand äußerster innerer Krisis zu sehen. Da beide Sätze, unbeschadet ihrer großen Verschiedenheit bezüglich des Inhalts, annähernd von gleicher Länge sind, stellte ich sie mir vor als polare Gegensätze, welche intransigent zum Äußersten getrieben sind und den leeren Raum dazwischen reflektieren.
Der erste Satz bewegt sich in einer fast gefrorenen, verwirrten, autistischen Welt isolierter Fragmente, teilweiser und unzusammenhängender Wiederholungen und plötzlicher, unmotivierter Ausbrüche. Die mehr als zwanzig grundlegenden Elemente des Textes werden beständig geändert, ausgelöscht und . neu zusammengefügt in einer Weise, welche praktisch die Möglichkeit, eine einzige zugrunde liegende Kontinuität auszumachen, beseitigt. Zur gleichen Zeit reflektiert die Gesamtform sorgsam die mit sich selbst beschäftigte Natur des Materials in einer dualen Spiegelungsstrategie: einerseits ·sind die individuellen Abschnitte in einer komplexen Textur subkutaner Symmetrien ineinander verschränkt; auf der anderen Seite reflektiert das letzte Drittel des Satzes die Muster und textuellen Typen der ersten beiden Drittel, wobei jedes Element durch sein "komplementäres" Element von der anderen Seite des Spektrums ersetzt wird.
Der zweite und abschließende Satz explodiert in einer schillernden Flut wütender Bilder, fast kadenzartig in seinem beständigen Wechsel von instrumentalen Kombinationen und den zügellos schwankenden Überlagerungen in Textur und Tempo. Die Komplexität dieses Satzes beruht zum großen Teil darauf, dass eine Anzahl von Sätzen tatsächlich zusammengepresst wurden, wobei jeder durch den Zusammenprall mehr oder weniger "beschädigt" wurde. Während der aufmerksame Zuhörer sehr wohl residuale Züge einer Rondostruktur zu entdecken vermag; sollte dieses weniger als bewusst konzipiertes Verfahren verstanden werden, denn als eine Reflexion der Tatsache, dass mindestens drei unterschiedene Schichten eines Prozesses gleichzeitig ablaufen, obgleich sie nur an gewissen, im voraus kalkulierten Momenten an die Oberfläche des Bereichs des Hörbaren treten.
Das Dritte Streichquartett ist den Mitgliedern des Arditti-Quartetts gewidmet und wurde mit Unterstützung des Arts Council of Great Britain in Auftrag gegeben.
Die Weltpremiere wurde vom Arditti-Streichquartett gegeben und fand am 7. Oktober 1987 im Maison de Radio de Paris statt als Teil des kompletten Zyklus der Streichquartette von Ferneyhough.
Brian Ferneyhough
(Übersetzung: Stefan Schädler)
Cardew war einer der ersten europäischen Komponisten, die nicht nur musikalische, sondern auch soziale Folgerungen aus der neuen amerikanischen Ästhetik zogen, Dies hat seinen Grund hauptsächlich darin, dass es Cardew nicht um eine rein intellektuelle Ablehnung der vorherrschenden westeuropäischen Kompositionsmethode - des totalen Serialismus - zu tun war; vielmehr handelte es sich um eine viel tiefer greifende Reaktion auf Inhalt und Bedeutung, die neuen Arten des Fühlens und Denkens, auf den moralischen wie philosophischen Idealismus, von dem die neue amerikanische Musik getragen schien. "Wir wollen keine Kunst-Polizisten" hat Cage in einer seiner Polemiken gegen die Europäer gesagt. Cardews Besonderheit bestand darin, dass er aus der neuen Ästhetik eine von der amerikanischen gänzlich verschiedene Musik entwickelte.
Das "String Quartet Movement" (1961) verdeutlicht Cardews neuen Ausgangspunkt, es nimmt den ideologischen Gehalt, der den größten Teil seines Schaffens in den sechziger Jahren bestimmt, vorweg. Der Einfluss sowohl Stockhausens als auch Cages bleibt spürbar, wiewohl die gleichförmige Akkordfolge am Ende des Werkes eher an Feldmans Musik denken lässt. Aleatorische Prinzipien finden in höchst individueller Weise Verwendung; die insgesamt improvisatorische Qualität der Musik jedoch unterscheidet sich grundlegend von Feldman wie von Cage. Das Ergebnis ist eine ungewöhnlich, bezwingende Diskontinuität; seltsame Zusammenstellungen, irrationale Ausbrüche, kurze Anspielungen an Musik sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart schaffen eine Art psychologischer Desorientierung, eine überempfindliche Musik, die das Gedächtnis verfolgt und verstört - eine geheimnisvolle, verschlossene Welt völliger Unordnung.
John Tilbury
Als ich Recherchen für den Text einer Arie, die in Robert Wilsons Civil Wars von Mata Hari gesungen werden sollte - eine Szene, die wegen ihrer Unspielbarkeit rasch aufgegeben wurde - , anstellte, stieß ich auf die beiläufige Gegebenheit, dass in einer Nacht Ende 1908 die drei berühmtesten Tänzer ihrer Zeit unwissend voneinander in Wiener Hotels übernachteten. Mata Hari, die an diesem Abend im Gebäude der Wiener Sezession getanzt hatte, wohnte im Hotel Bristol, Maud Allan im Hotel National und Isadora Duncan in einem Hotel zwischen diesen beiden. (Sam Waagenar konnte die genaue Örtlichkeit nicht identifizieren.)
Als diese Szene aus der Oper gestrichen wurde, beschloss ich, die Schlagzeugbegleitung für die Sopranarie, die im Javanisch der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, der Muttersprache Mata Haris, gesungen werden sollte, anderweitig zu nutzen. Obwohl der Text interessant war, passte er nicht zu der Begleitung. So wurde dieses Stück umgeschrieben in ein Solo für Englischhorn und wurde der First Viennese Dance.
Das String Quartet No. 1 (Zwischen dem National und dem Bristol) war ein Kompositionsauftrag der Wiener Festwochen, den auf Vorschlag von, Edek Bartz das Arditti-Quartett im Oktober 1985 erstmals aufführte. Ich hatte nie daran gedacht, ein Quartett zu schreiben, da ich, obwohl ich selber ein Streichinstrument spiele, als Kontrabassist außerhalb der Intimität eines solchen Ensembles stand und dessen Perfektion immer nur aus der Entfernung betrachten konnte. Mein anfängliche Idee war ein Stück, in dem jeder Part das Portrait eines Komponisten, der mit diesem Part auch als Spieler verbunden wäre, sein sollte - das Quartett insgesamt hätte sie in einer Art imaginärer Séance zusammengebracht. (Dieser Plan sah Ysaÿe als ersten, Vieuxtemps als zweiten Geiger, Hindemith oder Kupkovic als Bratscher und Schönberg als Cellisten vor). Die Zeit reichte dann aber doch nicht, dieses Ereignis in seiner ganzen Breite auszuarbeiten, so dass ich nur auf Ysaÿe als Komponisten, Virtuosen und Quartett-Primarius anspiele - und auf Ferruccio Busoni, seinen zeitweiligen Klavierpartner und Opfer eines seiner besten "practical jokes" (im Queen's Hotel, Birmingham).
Ein Großteil der Musik spielt sich in hohen Register ab und bedient sich in großem Umfang sowohl natürlicher als auch künstlicher Obertöne. Am Ende des Stückes schrieb ich eingedenk der außerordentlichen Virtuosität des Arditti-Quartettes eine Coda, für die jedes Instrument ein Saitenpaar umstimmt. Die erste Geige stimmt die beiden höchsten Saiten auf Gis und Dis (D, G, Gis, Dis). Die zweite Geige stimmt die unteren beiden Saiten auf Fis und Cis (Fis, Cis, A, E). Die Bratsche stimmt das obere Saitenpaar auf Cis und Gis (C, G, Cis, Gis). Das Cello stimmt die unteren Saiten auf H und Fis (H, Fis, D, A). Dies geschieht so unmerklich wie möglich und hat als Ergebnis zwei Violinen im Halbtonabstand und Bratsche/Cello im Halbtonabstand (mit einer Oktave Unterschied). Von diesem Zeitpunkt an erklingen nur Obertöne. Der Gedanke war, natürliche Obertöne auf den "künstlich" gestimmten und künstliche Obertöne auf den "natürlich" gestimmten Saiten zu erzeugen. Ausgedehnte Solos mit natürlichen Obertönen sind Repertoirebestandteil jedes Kontrabassisten - und so wird durch sie der Kontrabassist ein wenig in die privilegierte Gemeinschaft der anderen Streicher aufgenommen.
Gavin Bryars
Geheimere Welt - Luigi Nonos Streichquartett Fragmente - Stille, An Diotima
Nono hat im Vorwort der Streichquartett-Partitur hervorgehoben, dass diese Fragmente
( ... )in keinem Falle während der Aufführung vorgetragen werden
in keinem Falle als naturalistischer, programmatischer Hinweis für die Aufführung verstanden werden (sollen)
aber in vielfältigen Augenblicken sind Gedanken schweigende "Gesänge" aus anderen Räumen, aus anderen Himmeln ( ... )Der vollständige ausführliche Text von Klaus Kropfinger kann hier nicht veröffentlicht werden!