Die Trois pièces pour quatuor à cordes gehören jener Phase von Strawinskys Schaffen an, die von seinen vielleicht bedeutendsten Werken, dem Ballett Le sacre du printemps (1913) und der erzählten, gespielten und getanzten L' histoire du soldat (1918) umschlossen wird. In dieser Zeit hat Strawinsky sehr viele Miniaturen - teils rein instrumentale, teils vokal-instrumental gemischte - geschrieben. Die Quartettstücke bilden den ersten rein instrumentalen Miniaturzyklus und sind darüber hinaus überhaupt Strawinskys allererstes Kammermusikwerk. Strawinskys Verhältnis zur Kammermusik war stets seltsam gebrochen. Er war, was immer er auch geschrieben hat - und auch hierin repräsentiert er einen Schönberg gegensätzlichen Typus - primär Orchesterkomponist. So verraten denn auch die Quartettstücke in jedem Detail den erfahrenen Instrumentator. Das kleine Streicherensemble klingt wie ein reduziertes Orchester, kaum wie ein Quartett: nicht zufällig hat Strawinsky anderthalb Jahrzehnte später die Stücke für Orchester instrumentiert, ohne dass allerdings diese nachträgliche Einrichtung den seltsamen Reiz der Originalfassung, in der die Klangreduktion ästhetisch relevant ist, erreichen könnte. Eigentümlich schon das Kolorit: starkes Vorherrschen von Geräuschen: Glissandi, harte Vorschläge, kratzen am Steg, spielen am Frosch, schlagen mit der Bogenstange, pizzicato usf. Dieses Hervortreten des Geräuschhaften hat seine Funktion: das kompositorische Detail soll nicht im wohligen Gesamtklang des Quartetts verschwinden. Das Detail ist aber nichts anderes als die Konsequenz des jeweiligen konstruktiven Grundgerüstes. Strawinsky hat alles, Thematik, Harmonik, Rhythmik usf. auf die einfachsten, fast möchte man sagen elementaren Momente reduziert; er fugt dieselben nun auf eine sehr bemerkenswerte, vielleicht etwas betont mechanische Weise zusammen. ……
der ganze Text von Rudolf Stephan, "Aus Igor Strawinskys Spielzeugschachtel" in: Festschrift Erich Doflein zum 70. Geburtstag, Mainz 1972, S. 27-30 kann hier nicht veröffentlicht werden!
Im ersten Satz ist der Duktus der Musik völlig zerhackt, es gibt abrupte Wechsel zwischen extrem schnellen und extrem langsamen Gestalttypen. Im zweiten Satz ist das musikalische Geschehen fast statisch, doch wird die Statik durch jähe Einbrüche, durch Störungen, plötzliche Tempo- und Gestaltänderungen unterbrochen: gleichsam von Resten aus dem ersten Satz, die in den zweiten verpflanzt worden sind.
Der gesamte zweite Satz stellt eine langsame Variante des ersten dar, es gibt zahlreiche unterirdische Verbindungen, und die Endungen beider Sätze - das gleiche Zusammensacken der musikalischen Form - verhalten sich wie ein Reim zwischen zwei Zeilen eines Gedichtes.
Der dritte Satz ist ein Pizzicato-Stück, er ist eine Art Hommage an Bartók - das Scherzo pizzicato aus Bartóks 4. Streichquartett wird aber nicht zitiert, nur angedeutet. Die Netzgebilde der Musik, die in den beiden vorangegangenen Sätzen weich waren, erscheinen im dritten Satz wie verhärtet. Es gibt da ein maschinelles Ticken - die imaginäre Maschine geht aber kaputt, sie zerfällt in Einzelteile. Solche polymetrischen maschinellen Vorgänge kommen in meiner Musik immer wieder vor, ich denke an die Poème symphonique für 100 Metronome aus dem Jahr 1962; schon in Aventures gibt es des horloges démoniaques, und das Cembalostück Continuum, das ich kurz vor dem 2. Streichquartett komponiert habe, stellt als Ganzes einen Präzisionsmechanismus dar.
Der vierte Satz ist extrem kondensiert, brutal, bedrohlich. Der abrupte Typenwechsel des ersten Satzes kehrt wieder, zusammengedrängt auf kleinstem Raum.
Der fünfte Satz ist wie eine Erinnerung, durch Nebel betrachtet, der gesamte bisherige Verlauf des Stückes wird rekapituliert, doch abgemildert - die Musik erklingt wie aus weiter Ferne.
Die fünf Sätze enthalten dieselben musikalischen und formalen Gedanken, doch Blickwinkel und Färbung sind in jedem Satz anders, so dass die übergreifende musikalische Form sich erst ergibt, wenn alle Sätze im Zusammenhang gehört und gedacht werden.
György Ligeti
Mein 4. Streichquartett lässt sich durch die grundlegende Idee charakterisieren, jedem Mitglied der aufführenden Gruppe seine eigene musikalische Identität zu verleihen, um somit die demokratische Haltung widerzuspiegeln, durch die jedes Mitglied einer Gesellschaft seine eigene Identität wahrt, während es zugleich an einer gemeinsamen Anstrengung teilnimmt - ein Konzept, das in all meinen jüngeren Werken dominiert. In diesem Quartett herrscht mehr als in anderen meiner Partituren ein kooperativer Geist vor. Der Part jedes Spielers besitzt sein eigenes musikalisches Material und seinen eigenen Charakter, und jeder [Spieler] partizipiert in individueller Weise an dem Dialog der vier Teilnehmer. Obwohl es viele Stimmungs- und Tempowechsel sowie Pausen gibt, besteht das Werk aus einem langen, ununterbrochen sich verändernden Satz. Im Hintergrund herrscht jedoch auch eine Vorstellung des traditionellen viersätzigen Schemas im klassischen Streichquartett - appassionato, scherzando, lento, presto.
Das 4. Streichquartett ist dem Composers String Quartet gewidmet, das die Partitur gemeinsam mit dem Sequoia- und Thouvenel-Quartett in Auftrag gab ( ... ). Das Werk wurde zwischen 1985 und 1986 in New York, Wabbacuc und während eines Aufenthalts an der Amerikanischen Akademie in Rom komponiert. Die Uraufführung durch das Composers Quartet fand am 17. September 1986 auf dem Miami-Festival statt.
Elliott Carter
Tetras geht nicht von einzelnen Tonpunkten und Tonlinien aus, sondern von charakteristischen Konstellationen:
von Melodien, deren Töne im Glissando verschliffen werden;
von glissandierenden Doppelgriffen;
von einer vielschichtig akzentuierten Akkordfläche;
von Geräuschagglomerationen, die sich aus verfremdenden Spieltechniken ergeben.
Im weiteren Verlaufe des Stückes kommt es auch zu Überlagerungen und Mischungen; z.B. verbinden sich zunächst Geräusche mit langen Tönen, bevor sich schließlich das Geräuschhafte vollständig. durchsetzt. Im folgenden entstehen wiederum neue Konfigurationen - zum Beispiel ein großangelegter Prozess des Übergangs, der vom synchronen zum asynchronen Spiel führt: aus Akkorden und Läufen entwickeln sich allmählich individuelle Elemente und rhythmische Pulsationen. Die Musikpraxis des Zusammenspiels wirkt zurück auf die musiksprachliche Artikulation.
Wechselwirkungen zwischen Musiksprache und Musikpraxis, zwischen der Disposition der Klangmittel und der Formkonstruktion spielen im Œuvre von Iannis Xenakis eine wichtige Rolle. Dabei können sich auch großflächige Übergänge ergeben: musikalische Formprozesse als Resultat der Koordination von Musiksprache und Musikpraxis.
Rudolf Frisius