Musik für ca. 16 Saiten

9. Konzert
Arditti-String-Quartet


LAMONTE YOUNG: Five Small Pieces for String Quartet,
On Remembering a Naiad (1956)

Die Five Small Pieces for String Quartet, On Remembering a Naiad wurden zwischen dem 2. und 16. November 1956 in Los Angeles geschrieben. Ich war gerade 21 Jahre alt geworden und studierte Kontrapunkt und Komposition bei Leonard Stein, dem berühmten Pianisten und ehemaligen Assistenten Arnold Schönbergs. Stein machte mich einem breiteren Spektrum moderner Musik bekannt, und ich geriet langsam unter den völligen Bann des Werks von Anton Webern. Die Five Small Pieces for String Quartet waren die ersten Stücke, die ich mit Hilfe der Zwölftontechnik komponierte. Sie waren von Weberns Sechs Bagatellen op. 9 für Streichquartett und den Fünf Orchesterstücken op. 10 inspiriert, besitzen Jedoch schon Elemente jenes Stils, den ich in meinen nachfolgenden Werken dieser Periode zu entwickeln begann. Die Five Small Pieces sind wesentlich ausgedünnter und transparenter als die [genannten] Werke Weberns. Sie zeichnen sich durch längere statische Abschnitte mit pulsierenden und ostinaten Figuren aus sowie schon durch eine Antizipation des Gehalts meiner späteren Werke. Ebenso stellen sie den Anfang meines eigenen musikalischen Vokabulars an intervallischen und akkordischen Strukturen dar, die Vorahnungen der "dream chords" bildeten, die nach und nach das primäre harmonische Material von for Bass (1957), Trio for Strings (1958) und schließlich die einzige tonale Grundlage für The Four Dreams of China (1962) wurden. Durch diese Werke kann somit eine der Entstehungslinien des Minimalismus in der Musik verfolgt werden.

La Monte Young


MILAN KNÍZÁK: Alois Hába (XIII. Quartetto) - Antonin
Dvorak: (Smyčcový Kvartet E-Moll) + Milan Knízák (1988)

In den Jahren 1963 und 1964 habe ich Schallplatten zu langsam oder zu schnell abgespielt, dadurch die Eigenart der Musik geändert und so neue Kompositionen geschaffen. 1965 begann ich, Schallplatten zu zerstören: sie zu zerkratzen, Löcher in sie zu bohren, sie zu zerbrechen. Indem ich sie wieder und wieder abspielte (was die Nadel und oft auch den Plattenspieler ruinierte), ergab sich eine völlig neue Musik - unerwartet, nervenaufreibend und aggressiv; Kompositionen, die nur eine, Sekunde oder (wenn die Nadel an einem tiefen Kratzer hängenblieb und dieselbe Stelle wieder und wieder spielte) unendlich lange dauerten. Ich entwickelte dieses Verfahren weiter. Ich klebte Klebeband auf die Schallplatten, übermalte sie, verbrannte sie, zerschnitt sie und klebte Teile verschiedener Platten wieder zusammen, usf., um eine· größtmögliche Klangvielfalt zu erzielen. Eine Klebenaht erzeugte ein rhythmisches Element, das kontrastierende melodische Phrasen voneinander trennte. Später dann arbeitete ich auf dieselbe Weise mit Partituren. Ich löschte einige Noten, Bezeichnungen und andere Markierungen, ganze Takte (und bestimmte damit - wenn die Pausen regelmäßig waren - zu einem Teil den Rhythmus), fügte Noten und andere Zeichen hinzu, änderte das Tempo usf.. Ich veränderte auch die Reihenfolge der Takte, spielte die Komposition rückwärts, stellte die Notensysteme auf den Kopf, kombinierte Teile verschiedener Partituren usf.

Ich benutzte auch Sammlungen populärer Lieder (oder anderer Kompositionen) als Partituren für Orchesterwerke. Jedes Instrument oder jede Gruppe spielt ein anderes Lied. Der daraus resultierende Klang (jede Gruppe behält das originale Tempo, die Intonation und die Länge des jeweiligen Stückes bei) ist eine neue Symphonie.

Und natürlich gab es andere ähnliche Ansätze, nebst ihren Kombinationen und Erweiterungen.

Da Musik, die durch das Abspielen zerstörter Schallplatten zustande kommt, nicht (oder nur unter großen Schwierigkeiten) in eine Notenschrift oder eine andere Sprache übertragen werden kann, können die Schallplatten selber zugleich als Notationen verstanden werden.

Milan Knízák


GIUSEPPE CHIARI: Streichquartett

Das Ohr an die Wasseruhr halten und die Zeit hören. Dreiundzwanzig mal dreiundzwanzig die Maße der Noten. Das Licht im Zimmer anschalten / das Zimmer verlassen / die Tür schließen / das Licht im anderen Zimmer ausschalten und / das Licht / unter der Tür / hervor kriechen sehen. Eine Uhr kaputtmachen / dann ihre Zeiger mit der Hand drehen und / das Klicken hören. / Alle Musik ist gleichwertig ...

Beispiel: Einen Stein als ein musikalisches Instrument ein Tonbandgerät wie einen Stein, ein Klavier wie einen Tisch oder Computer behandeln …

Jetzt können wir sagen, was Musik ist. Das wissen wir jetzt.
Musik ist zum Spielen. Musik ist zum Spielen. Musik ist zum Spielen. Musik ist zum Spielen. Musik ist zum Spielen.

Giuseppe Chiari


MAURICIO KAGEL: 2. Streichquartett

Die zwei zehnminütigen Sätze des Streichquartetts bilden eine Einheit, gleich in welcher Reihenfolge sie dargeboten werden. Es ist jedoch zu vermeiden, die Sätze hintereinander zu spielen ( ... und ich hoffe, dass der Hörer im Saal einer solchen Aufführungspraxis a posteriori zustimmt). Die Trennung kann beliebig durch ein oder mehrere Stücke, ebenso durch eine Pause erfolgen. Das Werk entstand 1965/67 im Auftrag des LaSalle Quartetts und ruhte nach der Beendigung mehrere Jahre sowohl in den Schubladen von Köln wie Cincinnati. Im Verlauf der Zeit fand ich es amüsant zu beobachten, dass, je länger sich die Uraufführung dieser tückischen Komposition hinzog, die Realisationen in meiner Vorstellung interessanter wurden. Dies, glaube ich, nennt man Wunschdenken.

Respekt und Furcht vor "absoluter Musik" haben mich eigentlich dazu geführt, die Bedingungen des Genres Kammermusik häufig zu sabotieren, und zwar durch Steigerung. Ähnlich ist es diesem Streichquartett ergangen: das Selbstverständliche wird künstlich untertrieben, Anormales als wahrscheinlich dargestellt, So kommen in jedem Satz eine Reihe von verschiedenen Materialien zur Denaturierung des gewöhnlichen Instrumentalklanges vor, welche in diesem musikalischen Zusammenhang lediglich eine konsequente Erweiterung aller auf normalem Wege (mit Hilfe von Finger und Bogen) erzeugten Klangfarben-Veränderungen bedeuten. Drahtspiralen und Klarsichtklebefilm, Büroklammern und gekerbte Holzstangen, Stricknadeln, Xylophonschlägel und Streichhölzer, Münzen, Papierstreifen, Metallstifte und dicke Lederhandschuhe dienen hier schließlich zur Verwirklichung einer bereits vorgefertigten, weil "präparierten" Poetik. Sparsame Aktionen helfen außerdem, die unselbständige Selbständigkeit der Mitwirkenden eher zu unterstreichen als das konventionelle Nicht-Agieren eines solchen Ensembles in seiner Geschlossenheit es sonst verschleiert. Bogenführung und vorwurfsvolle Blicke, Singsang und Fernklang, ausdruckslose Gesichter und verunglückte Flageolettöne, auf-der-Stelle-bleiben und sich-doch-scheinbarfortbewegen sind dann Elemente einer Ästhetik, die die Darstellung von Musik transparent machen will.

Mauricio Kagel


HORATIU RADULESCU: Infinit a fi nu poate fi infinit (1976-1987)
für acht vorher aufgenommene Streichquartette und Live-Streichquartett

Die acht vorher aufgenommenen Streichquartette konstituieren ein 128-saitiges Instrument, das in einem Kreis um das Publikum herum angeordnet ist. Das Live-Streichquartett befindet sich in der Mitte dieses Raumes. Die 128 Saiten des imaginären Instrumentes nutzen Spektral- Komponenten des Tones C zwischen dem 36. und dem 641. Oberton. Die Computerpartitur wurde von Vincent Bourgue mit einem Laserdrucker in 20 Minuten erstellt - ein Kopist hätte dafür 40 Jahre benötigt.

Einige der mikromusikalischen Erscheinungsformen, die bei dieser "Skordatur" Verwendung finden, sind recht neu. Ich möchte eine anführen, die sogenannte Delta-Musik: eine Musik des Sich-Ausdehnens und -Zusammenziehens. Mit anderen Worten: eine Struktur von Funktionen in einem Spektrum springt zu verschiedenen Formanten des Spektrums. Die inneren Proportionen bleiben gleich, die Gesamtstruktur jedoch dehnt sich dabei aus und zieht sich zusammen. Es ist, als ob man eine Person zum selben Zeitpunkt in verschiedenen Dimensionen sieht, unter verschiedenen Blickwinkeln, aus verschiedenen Entfernungen. Für den Hörer geschieht dies alles im selben Register, so als ob das Grundregister auf und ab von Oktave zu Oktave springt.

Die gesamte, 49-minütige Architektur stellt sich als eine Art formaler Polyphonie zwischen den vorher aufgenommenen Streichquartetten und dem Live-Quartett dar.

Horatiu Radulescu

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