Bevor ich Dich nach den Prinzipien hinter der Archaic Symphony, nach Deiner Arbeitsmethode frage, möchte ich von Dir etwas über die Rolle wissen, die der Computer in Deiner Musik spielt.
Im allgemeinen misstrauen die Menschen dem Computer; Aussagen von Komponisten aus den sechziger Jahren mögen oft zu dem Eindruck geführt haben, dass der Computer das eigentliche Gehirn hinter der künstlerischen Produktion ist. Diese astronomischen Erwartungen am Beginn des Computerzeitalters haben die Menschen von der Einsicht abgelenkt, dass der Computer einfach nur ein Werkzeug ist.
Ich kann mir eine Art des Animismus im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert vorstellen - viele Menschen unterstellen diesen Maschinen eine Art Leben, weil sie anscheinend Fragen beantworten und Vorgänge steuern können. In Wirklichkeit aber sind sie immer von Menschen programmiert worden, und obgleich die besten Maschinen ihrer Art Varianten hervorbringen können, sind wir die einzigen, die eine aufregende Auswahl treffen können.
Manchmal, wenn ich komponiere, benutze ich den Computer als eine Art Orakel; so kann die Maschine mittels programmierter Regeln aus Daten, die ich ihr zur Verfügung stelle, Variationen entwickeln: ich muss dann die guten auswählen.
Du benutzt diesen Prozess also, um auf neue Gedanken zu kommen?
Manchmal. Mein Ausgangspunkt ist jedoch, dass ein Konzert aus mehr als der logischen und exakten Reproduktion von Gedanken oder der systematischen Ausbreitung zufälliger Variationen besteht.
Musik ist nicht einfach das Produkt aus Verstand und Vorherbestimmung; und ich habe bis heute keine Maschine gefunden, die wirklich sensitiv operieren oder sensuelles Verhalten zeigen könnte.
Es gibt aber Aufgaben, die ein Computer sehr gut und sehr viel schneller als wir erfüllen kann. Zum Beispiel bei 'The Hands' (dem Instrument, dass ich mit den STEIM-Ingenieuren entwickelt habe): die Bewegungen meiner Finger und meiner Hand werden vom Computer registriert und sofort in Kommandos für ein Synthesizer-Orchester umgewandelt. Da der Computer mit einem Programm ausgestattet ist, das verschiedene Aufgaben gleichzeitig erfüllen kann, kann ich mir aussuchen, welchen Synthesizer oder welche Gruppe von Synthesizern ich direkt, als 'Solist' spielen möchte, oder ich kann die Rolle des Dirigenten übernehmen. In diesem Falle erlaubt mir der Computer, dass das Orchester vorprogrammierte Phrasen spielt. Als "elektronischer" Dirigent habe ich aber weitaus umfangreichere Mittel zu meiner Verfügung, um das Orchester von seiner vorprogrammierten "Partitur" abweichen zu lassen. Der Dirigent dieses elektronischen Orchesters ist in Wirklichkeit ein produzierender Künstler. Der Druck einer Taste von 'The Hands' löst nicht einfach einen einzelnen Ton aus, sondern setzt eine ganze Reihe musikalischer Ereignisse in Gang, die durch eine Bewegung der Hand in ihrer Dynamik, ihrer Lautstärke, ihrem Zeitverlauf abgewandelt werden können. Während der Aufführung können sogar neue Töne und Klangfarben gewählt werden.
Was war der Hintergrund für The Archaic Symphony?
Anfangs hatte ich an eine Theaterversion der 'Archaic Symphony' gedacht. Die heutige Computer-Technologie erlaubt es, einen Traum des Komponisten Wirklichkeit werden zu lassen. Ich stelle mir den Komponisten als "Super-Dirigenten" vor. Diesen Namen haben mir Journalisten in den USA gegeben. Mit einfachen Gesten, ohne das Eingreifen Anderer, können seine beiden Hände auf dem Konzertpodium eine komplette Symphonie hervorzaubern. Man sieht ihn komponieren und kann gleichzeitig das Ergebnis dieses Kompositionsaktes hören.
Da gab es aber noch etwas anderes, eine Art betrübten Staunens über die Beliebtheit der High-Tech-Kultur - jenes elektronische Amalgam aus verdrehten Kurznachrichten, der Pop-Kultur, Familienserien, die an die Stelle wirklicher Erfahrungen treten, Werbung für Zielgruppen, Kunst, die auf ärmliche Weise außerhalb ihres Zusammenhanges reproduziert wird, und der ausgebeuteten und entwerteten Volkskultur ...
Daher der Titel Die Archaische Symphonie?
Ja, ich glaube, dass sich die Medienkultur noch in einer initialen, archaischen Phase befindet. Und 'The Archaic Symphony' ist eine Art Reinigung von meiner persönlichen Verstrickung mit einigen Momenten dieser aufgeblasenen Medien-Kultur. In der 'Archaic Symphony' entbrennt die Schlacht zwischen typischen High-Tech-Sounds wie falschen elektronische Geigen, glatten Raumzeitalter-Signalen, erstaunlichen, aber seelenlosen elektronischen Schlagzeuggeräuschen und Minimal-Music-Jingles auf der einen Seite und Klängen als elektrischer Befreiung auf der anderen Seite: mein Seufzen und meine kürzlich erst entwickelten Klänge eingebettet in Kurzwellenklänge, die mir im Verein mit den Geräuschen des Blitzes als eine der Quellen der elektronischen Musik erscheinen.
Wie stellt sich der Zusammenhang zwischen diesen Ideen und der vorliegenden Komposition her?
Als ich begann, die besonderen Klänge zu entwerfen, trat die Theater Vision in den Hintergrund. Elektronische Musik ist nichts, das man erst ausdenkt und dann am Schreibtisch komponiert. In der elektronischen Musik komponiert man den Klang selber. Da es aber so viele mögliche Klänge gibt, ist es unmöglich, in der Vorstellung ein vollständiges Klang-'Bild' zu entwerfen. Man muss die Klänge während des Kompositionsvorganges hören. So muss ich die Möglichkeit haben, zu hören und das Instrument - ein 96-stimmiges elektronisches Orchester - direkt während des Komponierens zu spielen.
Meine Geschichte, das Wort, endete, als ich die Realisierung der Klänge begann; und ich wollte, dass die 'Archaic Symphony' ihr eigenes musikalisches Leben zu führen begänne.
Aber ich nehme an, dass Du Dein Stück dennoch strukturierst?
Ich lasse musikalisches "Verhalten" sich aus diesen Klängen entwickeln. Dieses ist manchmal vorhergeplant, oft aber auch - insbesondere in den schnellen Partien - intuitiv. Dann denke ich mir einen Zeitpunkt für die individuellen Klänge und ihre "Verhaltensmuster" aus. So ergibt sich ein Pfad mit vorprogrammierten Grenzübergängen zwischen den einzelnen Klangarealen. Vergleichsweise früh arbeite ich dann am Aufführungsort, wo ich verschiedene Abweichungen von diesem Pfad erprobe, bis ich ein befriedigendes Ergebnis, das wirklich gut klingt, erhalte. Damit ist das Stück reif für die ersten Konzerte. Und das ist der Punkt, an dem es möglich ist - auch weil nun ein Publikum zugegen ist - die genauen Proportionierungen aller Sätze auszuarbeiten. Dadurch tritt die spezifische Spannung der Komposition ins Werk. Während der Konzertreisen arbeite ich beständig an der Verlebendigung der Form.
Wie sieht der Endpunkt aus? Woran merkst Du, dass ein Stück seine Form bekommen hat?
An dem Punkt, an dem neue Möglichkeiten erschöpft scheinen. Deshalb nenne ich die letzten Konzerte "Premieren", und dann ist das Werk fertig - und ich spiele es nie mehr ... und ich hoffe, dass ich die Idee für ein neues Stück bekomme.
Michel Waisvisz (im Gespräch mit Volker Krefelt im August 1988)