Vorrede:
Grundlage der diesjährigen Inventionen ist die in den letzten Jahrzehnten vertiefte Beschäftigung der Veranstalter mit der räumlichen Wiedergabe von Musik. Die Wurzeln dieser Aktivitäten seitens der TU Berlin gehen bis in die 1960er Jahre zurück, als das Elektronische Studio die erste Oper mit ausschließlich für Lautsprechereinspielungen konzipierte Szenen - „Zwischenfälle bei einer Notlandung“ von Boris Blacher - für die Hamburgische Staatsoper realisierte. 1970 entwickelte das Fachgebiet unter seinem damaligen Namen "Grundlagen von Sprache und Musik" das technische Konzept des legendären Kugelpavillons auf der Weltausstellung in Osaka. In den fogenden Jahren setzte es sich zunehmend mit mehrkanaligen "Tonband"-Produktionen und ab 1991 auch mit mehrkanaligen Klanginstallationen auseinander - dies in enger Zusammenarbeit mit Gästen des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. Die jüngsten Entwicklungen haben diese raumbezogenen Aktivitäten weiter beflügelt: nämlich der Neubau des Elektronischen Studios im Jahre 1996 mit einem 12-kanaligen bzw. 8-kanaligen Produktionsort sowie der Umbau des Hörsaals H0104 im Frühjahr 2007 mit dem weltweit größten Wiedergabesystem nach dem Prinzip der Wellenfeldsynthese. Die Bühne für die öffentliche Präsentation von Ergebnissen all dieser Forschung und Produktion war meistens das Festival Inventionen, das von DAAD und TU Berlin seit 1982 regelmäßig in Kooperation mit verschiedenen anderen Partnern (anfangs vor allem mit der Akademie der Künste) veranstaltet wird.
Für die elektroakustisch/akusmatischen Konzerte wurden zwei Veranstaltungsräume ausgewählt:
An die technische Umsetzung, nämlich diese drei großen Systeme (32 Lautsprecher des Akusmoniums, 27 Lautsprecher der TU sowie die Anbindung an das WFS-System) gleichzeitig und gemeinsam nutzen zu können, wird ein gewaltiger Anspruch an Hardware und Software gestellt!! Diese Aufgabe übernimmt "akusmix" von André Bartetzki (siehe akusmix und ein Gesamtblockschaltbild der Technikregie).
Das Konzertprogramm des Festivals steht in unmittelbarem Bezug zur fünften internationalen Sound and Music Computing Conference (SMC), die vom 31.7. bis 3.8.2008 in der TU Berlin stattfindet. Sie steht unter dem Motto "sound in space - space in sound" und bietet etwa 30 Vorträge sowie Diskussionen und Demonstrationen für Wissenschaftler ebenso wie für ein allgemein interessiertes Publikum.
In der Geschichte der Elektroakustischen Musik mit ihrem Hauptinstrument, dem Lautsprecher, zeichnen sich im Umgang mit dem Parameter „Raum“ zwei divergierende Strategien ab: Ein empirischer, vom unmittelbaren Hörerlebnis ausgehender Ansatz, wie er in den Werken der französischen Musique concrète üblich ist, sowie ein an der Simulation physikalischer Vorgänge orientierter Ansatz, wie er in den Werken der Elektronischen Musik der „Kölner WDR-Zeit“, aber auch in den meisten anderen Studios angestrebt wird. Als Reaktion auf diese Geschichte werden mit großem Aufwand die verschiedenen Strategien gleichzeitig demonstriert, vor allem im TU-WFS-Saal (siehe oben). Das Repertoire des Festivals spannt einen zeitlichen Bogen von den Pionierarbeiten bis hin zu neueren Produktionen und besonders zu den zahlreichen Auftragswerken bzw. Erstaufführungen.
Nun ist die Geschichte der EM auch eine Geschichte der Lautsprecheranwendung und vor allem der Lautsprecherquantität; zur Verdeutlichung wird ein Querschnitt durch die Geschichte der elektronischen Musik von der Mono-Produktion der frühen Rundfunkmusik über die allmähliche Erweiterung der Kanäle bis hin zu neuesten Techniken der Raumsimulation präsentiert (hier besonders durch die von Björn Gottstein moderierte Retrospektive "von mono zum Wellenfeld"). Immer wird der Lautsprecher als Instrument erfahrbar sein, welcher Räume erzeugt: natürliche und künstliche Räume, reale und virtuelle Räume.
Neben der Abbildung technischer Innovationen berücksichtigt das Programm unterschiedliche ästhetische Strömungen wie die serielle Musik und die Musique concrète. Es würdigt die Beiträge der großen kreativen Zentren und ihrer Studios wie der Groupe de Recherches Musicales GRM, dessen 50-jähriges Bestehen wird bei Inventionen ausgiebig gefeiert!, dem Westdeutschen Rundfunk (WDR), dem Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique (IRCAM) Paris, dem EMS in Stockholm, CCRMA Stanford und der TU-Berlin selbst; interessant ist, mit welch einer Vielzahl die Stipendiaten des Berliner Künstlerprogramms des DAAD in diesem internationalen Raster wiederzufinden sind!
Als Ouvertüre wird "Castalie" von Gilles Gobeil, derzeit Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD, für Klangdom, Akusmonium und Wellenfeldsynthese mehrmals vorgeführt; hier werden alle drei Prinzipien vereinigt bzw. in ihren Unterschieden hörbar sein. Auch andere Komponisten haben vor, gleichzeitig mehrere Systeme zu nutzen - dies wird von den Veranstaltern mit besonderer Spannung erwartet, weil dann wirklich der große Aufwand zur Geltung kommt. Interessant wird sicherlich auch der Workshop am letzten Tag des Festivals (3.8.) sein, wenn die zahlreich versammelten Experten ihre Erfahrungen und Erwartungen diskutieren - und zwar am Ort des Geschehens und im Bewusstsein des gerade Gehörten.