Agostino Di Scipio:

Hörbare Ökosysteme für Live-Elektronik

ist eine Reihe von Studien, die Agostino di Scipio in den Jahren 2002 bis 2005 konzipierte. Bei jedem dieser kurzen Stücke handelt es sich um einen Echtzeitprozess, der (hörbar) etwas mit der Umgebung anstellt, um dann wiederum dem unterworfen zu werden, was die Umgebung (hörbar) mit ihm anstellt. Die kompositorische Herausforderung besteht darin, zwischen der Schallanlage (mehrere Lautsprecher und eine digitale Signalverarbeitungsanlage) und der Raumakustik wünschenswerte Interaktionen auszuformen. Dies geschieht vermittels mehrerer im Raum verteilter Mikrophone, die die akustische Reaktion des Raumes auf das ursprüngliche Klangmaterial „hören“. Klang liefert nicht nur das Rohmaterial, sondern ist seinerseits Antrieb für die Entfaltung des gesamten Stückes. Klang (als Klangfarbe) ist das alleinige Kommunikationsmedium und die alleinige Schnittstelle (Regler, Tasten, optische Kontrollen werden nicht verwendet). Als Ergebnis entsteht nicht etwa eine irgendwelchen abstrakten Räumen entstammende Klangtextur, sondern eine taktil oder körperlich durchaus spürbare, mitunter nachgerade harsche Schallpräsenz. Bei der Aufführung wird der Klang über mehrere Lautsprecher abgestrahlt, und die Klangverteilung passt sich wiederum dynamisch dem Raum an. In jedem Fall, ob beim Konzert oder in anderen Hörsituationen, wollen nicht die Lautsprecher die Musik spielen, sondern vielmehr die Musik die Lautsprecher.

Ausgangsmaterial von Nr. 3a Studie über Hintergrundgeräusche – ist ein beliebiges Hintergrundgeräusch am Aufführungsort. Dieses Stück fängt mit „Nichts“ an (d. h. mit den fast unhörbaren Klangereignissen, denen wir für gewöhnlich keine Aufmerksamkeit schenken, oder die wir unbewusst ständig aus unserem Hörbereich ausschließen) und versucht, damit „Etwas“ zu machen. Die raumakustische Reaktion auf das massiv verstärkte Hintergrundgeräusch beeinflusst die Art und Weise, in der der Computer eben dieses Hintergrundgeräusch manipuliert. Wenn sich die Textur andickt und einem Zustand der Sättigung entgegen strebt, wird der Prozess automatisch abgebrochen und beginnt von Neuem. In der vorliegenden Aufnahme geschieht dies fünf Mal. Bei jedem Durchgang verläuft der Prozess anders, zunächst, weil sich Geräuschquelle und raumakustische Reaktion in der Zwischenzeit verändert haben, besonders aber wegen der klanglichen Abfälle des vorhergehenden Prozesses.

In Nr. 3b Studie über Hintergrundgeräusche im Vokaltrakt – wird das gleiche kybernetische Konzept in einer anderen Umgebung durchgeführt, und zwar in den Höhlungen des Vokaltrakts des/der Aufführenden. Als Ausgangsklang kommt jeder unwillkürlich im Mund- und Rachenraum erzeugte Klang in Frage. Gelegentlich werden feinste Impulse und andere kleine Schallereignisse, wie sie normalerweise unwillkürlich entstehen, absichtlich hervorgebracht.

Uraufführungen:
1. Juli 2005, Berlin, mit Natalia Pschenitschnikova (Nr. 3b);
den Stücken Nr. 3a und 3b liegt ein Kompositionsauftrag des Berliner Künstlerprogramms des DAAD zugrunde.


Paysages Historiques n.4 - Mediales Hintergrundrauschen in New York -

Paysages Historiques Nr. 4 – Mediales Hintergrundrauschen in New York – ist das vierte Werk der Reihe Paysages Historiques; den vorangehenden Stücken lagen Klangspuren von historischen Ereignissen in Rom, Paris und Berlin zugrunde.
Heutzutage verwandelt der allgegenwärtige Sound der Medien die Stimmen von Politikern, Journalisten und Popstars in eine neue Art von Umweltgeräusch. Gut zu beobachten ist dieser mediale Müll in New York.

 Für New York Background Media Noise wurden in Hotelzimmern in New York und an anderen Orten in den USA Schallaufnahmen angefertigt, mit Stimmen aus dem Fernseher und Geräuschen, die sich während der Aufnahmen zufällig einstellten (Mikrophongeräusche, Vögel, eine herunterfallende Münze, Stimmen von anderen Personen im Hotel usw.); diese Aufnahmen werden dann in Echtzeit, in einer mit Rückkopplungen angereicherten akustischen Situation, gefiltert und transformiert.

Zu den prominenteren Fernsehstimmen gehören die von George W. Bush, der darauf besteht, daß er »die Welt verändern« würde (bei einer Pressekonferenz in New York und bei mehreren Reden während des Präsidentschafts-wahlkampfes 2004), von Bob Dylan, einem Sänger von „Protestsongs“, der darauf besteht, dass er gar nichts verändern wolle und gegen gar nichts protestiere (aus Interviews im Greenwich Village, Mitte der 1960er Jahre), von Noam Chomsky (wie er im Oktober 2001 über die Ereignisse des 11. September 2001 spricht) und ein Bericht des Journalisten Peter Bergen über die Finanzgeschäfte der Familie Bin Laden.

Man hört auch die Stimme von Condolezza Rice, wie sie die von George W. Bush eingeleiteten Veränderungen preist (vor der Untersuchungskommission zu den Vorfällen des 11. September, im Frühjahr 2004) und die Stimme von Salvador Allende, kurz vor dem 11. September 1973, wie er vor den Vereinten Nationen Veränderungen der Weltpolitik und der Weltwirtschaft einfordert, Forderungen, deren Einlösung noch immer aussteht. In einigen Passagen überlagern sich diese Stimmen, aber in jedem der vier Hauptabschnitte der Komposition tritt eine Stimme »solistisch« hervor (in dieser Reihenfolge: Bush, Dylan, Chomsky, Bergen).

Dem Stück lag ein Kompositionsauftrag des Institut International de Musique Electroacoustique de Bourges (IMEB) zugrunde; eine mehrkanalige Tonbandversion wurde am 3. Juni 2003 in Bourges uraufgeführt. In Berlin wird die Uraufführung der Fassung mit Live-Elektronik zu hören sein.

Paysages Historiques on Chrisopee Electronique n.24, LCD2781130

 


Agostino Di Scipio / Giuliano Mesa

Tiresia für 2 Sprecher, Elektronik und Video 2001

Text von G. Mesa

Bei der Komposition von Tiresia war die Dichtung (von Giuliano Mesa) nicht vor der Musik und die Musik (von Agostino Di Scipio) nicht vor der Dichtung da. Vielmehr entstanden beide gemeinsam im kontinuierlichen Austausch von Ideen und Materialien; im Verlauf der jahrelangen Vorbereitungen befruchteten sie sich gegenseitig.

Die Figur des Tiresias taucht in vielen altgriechischen Mythen auf, natürlich ebenso in literarischen Quellen, von der Odysse bis zum Ödipus, zur Antigone und zu den Bacchantinnen. Bekanntlich handelt es sich um einen blinden Seher, der die Zukunft vorauszusagen versteht. Er lebt sieben Mal länger als andere Menschen, um am Ende um den Tod zu ringen. Er lebt nicht nur als Mann, sondern auch als Frau. Noch im Tod bewahrt er sich die intellektuellen Fähigkeiten der Lebenden.

 In T.S. Eliots Dichtung The Waste Land ist Tiresias eine alte Frau, die die Gegenwart ansagt und nicht die Zukunft.

Unser Tiresia, Mann und Frau zugleich, beschreibt Tatsachen und Begebenheiten, die vor unseren Augen geschehen, die wir jedoch lieber übersehen, um unserer eigenen Verantwortung nicht ins Auge blicken zu müssen. Das geschieht in den fünf Orakel-Abschnitten, die, indem sie in Form von Ansprachen gegenwärtige, unsichtbare oder ungesehene und unsagbare Ereignisse beschreiben, fünf Episoden der mythischen Existenz des Tiresias neu ausagieren. In den zwei folgenden, aus je drei Reflexionen bestehenden Abschnitten, wägt Tiresias ab, inwiefern sich sein Sehen und Aussprechen dieser Tatsachen in seinem eigenen Leben widerspiegelt.

Während der gesamten Komposition bleibt die Stimme des Tiresias von der Elektronik unbehelligt: Nie wird sie von der Musik aufgegriffen und nie dient sie als Rohmaterial für digitale Klangtransformationen.

Die Musik ist vollständig synthetisch, auch dann, wenn sie wie natürliche Schallphänomene zu klingen scheint. In manchen Passagen werden – allerdings sehr versteckt – zwei Schlagwerk-Stellen aus Déserts von Edgard Varèse verwendet (war doch Varèse selbst eine Art Tiresias der zeitgenössischen Musik… Die Déserts sind sein Waste Land…).

Die Musik der Orakel-Abschnitte beruht im Wesentlichen auf rhythmischen Konstruktionen, die, in den mikrozeitlichen Bereich projiziert, verschiedene Arten von Klangstäuben und andere klangliche Artefakte ausformen. Die Musik zu den Reflexionen wiederholt und transformiert gewisse Einzelheiten, die schon in der Musik zu den Orakeln zu hören ist, gibt sich aber insgesamt schlichter und beruht insbesondere auf Gesten der Interferenz, Abtrennung und Stillstellung.

Musik und Dichtung treten in Tiresia ausschließlich auf der Grundlage von Atem und Rhythmus in Verbindung, eben jenes Stoffs, aus dem beide bestanden, als sie noch eins waren (vielleicht zu jener Zeit, als irgendein Tiresias tatsächlich lebte). Die von Matias Guerra entworfenen und gesteuerten Bilder sind als visuelle Umgebung für die Worte von Tiresias gemeint, nicht als Illustration der Tatsachen, die er ausspricht.


Giuliano Mesa

Teiresias    Orakel, Reflexe

übertragen ins Deutsche von Andreas F. Müller

 

“du musst dich am Leben halten, Teiresias, das ist dein Nachteil“

 


orakel I

ornithomantie. die müllhalde. Sitio Pangako

 

sieh. wind mit dem flug der blässhühner.

sie kommen vom meer und kehren dorthin nicht zurück,

im schwarm mit den schwarzen staren, entlang des flusses.

schau, wie sie sich auf das fressen stürzen,

wie sie es zerreißen, sich selbst zerreißen,

sie drehen luftpirouetten.

hör wie ihre schnäbel, ihre sporen kreischen,

wie sie sich schreiend bei den klauen packen, hinabstürzen, die schar,

lausche ihrer langen eroberungsparade, verwesungsgeruch,

hör sie auffliegen von der müllhalde, das flussbett,

wo das rinnsal des flusses ist,

die trümmerhalde,

wo das haus der schlafenden ist,

die träumen, dass ihnen flügel wüchsen.

haus der widerspenstigen, abstoßenden,

obdach  für den abfall und nahrung, ihnen,

wer weiß von woher dorthin verschlagen,

in den dung, ihre lethe, um langsam,

körner neuer erde zu werden,

lumpenknäuel, zweibeinige skarabäen,

die hoch fliegen, in stücken,

wenn sie von oben ein anderer hunger trifft.

 

versuch es zu schauen, versuch dir die augen zuzuhalten.

 


orakel II

pyromantie. puppen aus Bangkok

 

rauch. wolken, schwärme schwarzer schalen.

es brennen die mandeln der augen, die nachfalter,

kleine, schwielige finger, die hände müde, müde.

sie brennen entfleischt, um wangen zu glätten,

die geschwollenen schalen der lider

die sich wieder schließen werden.

rauch, fortgetragen, verfärbt sich,

nimmt die pausbacken der puppen mit sich,

die wiegenden hüften mit der bewegung der wiederholung,

schaukelnd, mit wippendem fuß, die lindert,

spiel das nie endet,

nie ankommt,

zeit zu erinnern, danach,

zeit zurückzukehren, dahin, wo man einmal war.

das spiel des schweigens zu spielen,

im bereiten von gaben, wundern, millionenfach,

durch die hände, eine nach der anderen, gegangen,

um sie funkeln zu lassen, die müden augen,

und offen zu halten, immer,

und wenn es kommt, das feuer, das funken sprühende,

dann - spielen fortzulaufen,

schreiend, die augen geschlossen.

 

du, der du zu sagen verstehst, sag es, sag es jemandem.


Reflexe

 

1.

wovon dir noch sagen?

von der klaren luft,

dem verschlossenen rachen,

dem verlangen, dem abgestandenen,

reglosen,

diesem nicht nehmen und nicht verlieren,

schon verloren, die zeit,

alle zeit,

im einzig sicheren zeichen: umklammern,

verschließen,

ohne sich je dem möglichen zu ergeben

 

 

3.

und langsam

verschnürt es sich wieder,

verknotet sich,

kehlenverschnürung,

wirbel- und

schwindeldrehung,

fühlt alles zusammen,

denn alles ist nur eine zeit

die es nicht gibt,

es gibt keine zeit

 

und danach,

da es sich beruhigt,

wann kannst du wieder zuhören

dem atem der luft holt,

der wimper die schlägt,

du fühlst es hochsteigen

bis in den nacken,

die scheide,

das wimmern,

wiederholt gehen, tun,

teil tun

 

 

2.

wem wirst du rechenschaft ablegen?

für wen

wirst du maß der stunden,

anheben, pochen,

beständigkeit des atems?

oder entfernung, fort sein,

pochen der unruhe,

körper in dessen wärme

ruhen ist,

in seiner begrenzung, dort,

angenagelt,

stein im staub,

wenn du willst

 


orakel III

iatromantie. Manhattan Project

 

namen. nenne noch, wiederhole, verhöhne.

lass es gedeihen, mindere seine vermischung,

dass es sich verbreite, sich aushöhle, überall hin fließe.

nenne sieben mal tag und stunde,

auch für heute, noch einmal alles von vorn,

so wird es nicht vergeblich sein.

hechle, grüble, so wird es nicht vergehen,

wird seine ganze auflösung nicht vergeblich sein, da sie noch raum schafft,

noch übergänge, auf dass es berste, sodann, im inneren seiner leere,

dir da, die zeit, die ihre, abgräbt,

die grotten, die höhlen, die löcher,

dich zu neuem leben erweckt,

grabnische zahlloser paarungen,

der erwählte, aus zufall, der ruhm verleiht.

zähle, es gibt dir kraft, jede minute,

verbracht in anstand, und die zähigkeit, stolze,

denn das verlangt die fügung, und die allwissenheit,

unermüdliche hoffnung, licht für die rechtschaffenen,

dass es indes nur offener beweis war,

experiment, nur drehzahlmesser der motoren,

schlagzahlmesser am herzen dessen, der auslöst,

und du bist die erfahrung, die probe.

 

nimm dieses geschenk und geh, jetzt, jetzt, da du weißt. 

 


orakel IV

oneiromantie. Paidos ommata nux elaben

 

einwärts gewölbt, um regenwasser,

dichtes, staubgedunkeltes aufzunehmen, und federn, eiweiß,

leuchtend, jene roten staubfäden, lichter, die blitze sind,

lassen stark das wasser erzittern, in den gruben,

die halbverschlossene hände sind,

weichtiere, moos,

harz, das leuchtend strahlt,

hart die risse schließt.

du weißt. es gibt nur die vertiefung, die aushöhlung, die grube.

nicht du hast sie ausgescharrt, mit deinen händen,

die weich und fett im traum erzittern.

nicht er, von dem du licht empfängst, und du weißt nicht

mit welch geschmeidigen werkzeugen

die chirurgie vollzogen wird.

mit seinen kleinen schienbeinen führt er mich,

zögernd, so rieche ich den duft des sonnenuntergangs,

die lichter, die sich verdichten, verkrusten,

selbst das harz, das in deinem schlaf kocht,

selbst die gerinsel gefrieren,

danach die rasiermesser, geburtszangen, jener langsame, dunkle,

blitz, der ihn verdunkelte, stumm,

reglos, ihn dabei mit sich nahm.

 

das licht, dieses licht, wird nie das deine sein.

 

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Die Nacht nahm die Augen des Knaben

Kallimachos, Hymnen, V, 83. 


Reflexe

 

4.

diese dunkelheit,

diese missgunst,

die patina, sagt man,

das harz, das oxyd,

schließlich –

schließlich der schatten, der den schatten bedeckt?

wird es wirklich so sein?

 

5.

die teile,

wie viele sind es,

wie oft

kehrt ein jeder nicht zurück

 

die aufbrüche,

das sich aufteilen,

du bleibst,

du bleibst nicht

 

wie viele,

wie viele noch,

um zu wissen,

nicht mehr wissen zu wollen

 

6.

und die letzten worte zu sagen?

und welche?

sie mit sich fort zu tragen?

und wohin?


orakel V

nekromantie. oi atafoi, massengräber

 

dort wo in schnee getaucht, die decken,

dort, wo die erde dunkel, rein ist, ohne furchen,

auf der schwelle, dort versuch zu rufen, rufen,

hörst nur deine stimme, die ruft,

unter den decken, unter

dem glitzernden schnee,

unter der schwarzen erde,

rufe bis du erschöpft bist, ächzst.

sie werden nicht mehr zurückkehren, wenn nicht im traum, schlaflos,

wenn nicht da unten, ihre ruhe, wo?

die schatten werden umherirren, myriaden,

noch immer tümmeln sie sich,

auf der suche nach ihrem namen.

und bringst du die milch, den honig?

den süßen wein, das gerstenmehl?

nicht einmal wispern kannst du sie hören,

ihr quaken, das zischen, das seufzen

ihr murren, wenn sie zu erde werden,

hörst du nicht, hörst du den raben krächzen,

der den schatten zurückkehren sieht, den schatten,

auf dem schnee, eines anderen gelben mondes.

schweig. lege die hände auf das gesicht, binde dein haar zusammen.

 

noch immer nicht hast du deine narzisse gepflückt, und der krokus blüht schon.

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Oi ata foi - Die unbeerdigten Toten


Epilog

 

hier verlass’ ich dich

 

mit diesen regenschweren wolken

durchbrochen von streifen hellen lichtes

das dich auch morgen wecken wird,

wenn du mehr erinnerungen haben wirst

für deine gedanken

 

ich gehe

im halbschatten, der bleibt,

wohin ich zurückkehre, jetzt,

jetzt, da es neu wird beginnen können,

da ich es könnte,

jetzt besteht nur der wunsch:

loslassen, unbeschadet lassen

diesen augenblick vor dem schmerz,

wenn der schmerz

klagelied des trostes geworden ist

und dann schweigen,

dieses schweigen, das wir miteinander hören,

jetzt – jetzt ist es, dass wir begreifen,

in diesem augenblick, der trennt

 

hier verlass ich dich


Anmerkungen zu den Orakeln

 

I: ornithomantie (Wahrsagung aus dem Flug, Fraß und Gesang der Vögel). die müllhalde, Sitio Pangako.

Im Juni 2000 gerät die größte Müllhalde Manilas in Bewegung, begräbt Sitio Pangako („verheißenes Land“), eine der sie umgebenden Barackensiedlungen unter sich. Mehrere hundert ihrer Bewohner kommen dabei ums Leben, die Überlebenden graben im Müll.

 

II: pyromantie (Feuerdeutung, Wahrsagung, besonders aus dem Opferfeuer). puppen aus Bangkok.

Im Mai 1993 gerät im thailändischen Nahon Pathom eine Puppenfabrik in Flammen und stürzt ein. 500 der 4000 Arbeiterinnen, alles junge Frauen, darunter viele Minderjährige, sterben an Verbrennungen.

 

III: iatromantie (Krankheitsdeutung, ärztliche Wahrsagerei). Manhattan Project.

Nukleare Versuche unter Einbeziehung von Zivilbevölkerung und Militär, die nichts davon wussten.

 

IV: oneiromantie (Traumdeutung).

Gegen Mitte der 90er Jahre „spezialisierten sich“ besonders die „Organhändler“ zwischen Brasilien und den USA auf’s Explantieren menschlicher Organe aus lebenden Körpern, vor allem von Kindern. Der griechische Titel ist aus Kallimachos, Hymnen. V. 83: Die Nacht nahm die Augen des Knaben“

 

V: nekromantie (Todesdeutung, Totenbefragung). Die unbeerdigten Toten. Massengräber...