Musik für ca. 16 Saiten

7. Konzert
Wilanow-Quartett


MORTON FELDMAN: Structures for String Quartet (1951)

Zu Morton Feldmans bekanntesten Neuerungen gehört die graphische Partitur, die dem Ausführenden eine bestimmte Entscheidungsfreiheit - zum Beispiel auf dem Gebiet der Tonhöhe - einräumt. Das hier in Rede stehende Werk gehört nicht zu dieser Art. Es ist wie jedes klassische Quartett vollständig notiert. Man hat sogar gesagt, dass es gut als Beispiel dafür dienen könnte, wie der Komponist selber seine graphischen Partituren ausfuhren wurde. Genau dies hat Feldman getan. Er skizzierte eine Figuration musikalischer Ereignisse innerhalb der vorgesehenen Ausführungszeit und füllte diesen Graph so lange, bis er ihm zusagte. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass es sich nicht im wörtlichen (mathematischen) Sinne um einen Graphen handelte, sondern eher um eine allgemeine Hilfe, die Ereignisabfolge festzulegen. War dies geschehen, übertrug Feldman das Material in eine präzis notierte konventionelle Partitur, so dass die Aufführung dieses Stuckes vergleichsweise genau festgelegt war. Diese besondere Kompositionstechnik hat er nur zweimal genutzt, das eine Mal in dem hier beschriebenen Fall, und das andere Mal - auch 1951 - bei einem Klavierstück für Merce Cunningham, dass jener dann als Variations für einen Solo-· Tänzer choreographierte.

Structures for String Quartet ist eine kurze einsätzige Komposition, die so leise wie möglich gespielt werden soll - eine andere Eigenart Feldmans. Die 'Strukturen' des Stuckes folgen in recht geradliniger Weise aufeinander. Der Anfang ist pointilistisch und von lockerer Textur. Dem folgt eine Reihe von - wie ich sie mangels eines besseren Wortes nenne - quasi-ostinaten Passagen. Jede dieser Passagen ist ein beinah exaktes Ostinato ähnlich jenen Bandschleifen, die wir aus der elektroakustischen Musik her kennen. Vier von ihnen erscheinen in einer Folge, die jeweils durch einfach Akkorde gegliedert ist. Eine zweite pointilistische Passage ähnlich der ersten schließt sich an. Ihr folgen zwei weitere Quasi-Ostinati und nochmals eine an den Beginn gemahnende Schlusssektion. Die Dialektik der Komposition ist solchermaßen eine von Leere gegen Dichte, von Unregelmäßigkeit gegen Periodizität.

Lejaren Hiller


KRZYSZTOF PENDERECKI: Quartetto per archi no 2 (1968)

Die Komposition des Quartetto per archi no 2 wurde 1968 in Essen, wo Penderecki eine Gastprofessur an der Folkwangschule versah, beendet. Es wurde im selben Jahr vom Parrenin-Quartett anlässlich der Berliner Festwochen uraufgeführt. Dieses Werk - ebenso wie das erste Quartett von mittlerem Umfang (rund 11 Minuten) - unterscheidet sich nachhaltig von seinem Vorgänger.

Zwei höchst unterschiedliche Tonsatzcharaktere werden exponiert und im Verlauf der Komposition miteinander in einem Dialog gesetzt. Der "Lento molto"-Charakter des Beginns ist durch die langsamen Glissandi und die unregelmäßig-langsamen rhythmischen Bildungen charakterisiert, denen die raschen Tongirlanden des "vivace" -Charakters entgegengestellt sind, die sich im Laufe dieses Formteiles immer weiter beschleunigen bis zu einem Flimmern der höchstmöglichen Töne der jeweiligen Instrumente. Nach dem ausgiebigen "vivace"-Teil, der die Position und Bedeutung eines Mittelteils bekommt, kehrt der "lento-molto" als eine Art Reminiszenz zurück, wird jedoch nach ganz kurzer Zeit vom "vivace" konterkariert, das seinerseits ebenso als Reminiszenz verstanden werden könnte. Ein letzter "lento-molto"-Abschnitt, in dem noch einmal kurze "vivace"-Figurationen aufblitzen, bringt das Stück zu seinem Ende.

Penderecki setzt an die Stelle motivisch-thematischer, ja selbst rhythmisch- diasthematischer Signifikanz gleichsam amorphe Klangstrukturen, die er in einem dialogisierenden Verfahren zueinander in Beziehung setzt.

Klaus Ebbeke


FRANK MICHAEL BEYER: Streichquartett Nr. 3 "Missa" (1985)

Kyrie

Gloria

Sanctus

Agnus Dei

Eine Messe für Streichquartett - also ohne Worte - scheint zunächst ungewöhnlich. Zielt die Komposition auf das verborgene Medium der Sprache, den spezifischen Inhalt oder die Form?

Kyrie - Gloria - Sanctus - Agnus Dei sind durch die Jahrhunderte gleichsam zu Topoi auch der musikalischen Vorstellung geworden, Brückenschläge zwischen einer objektiven und einer subjektiven Welt. So konnten für mich die wunderbaren Textgestalten in ihrer Doppelschichtigkeit von innerer Dynamik und Kontemplation zur Anregung für ein reines Instrumentalwerk werden. Ich zielte auf den neuen Freiraum in Gebundenheit, den Strawinsky einmal das Königreich der Phantasie nannte.

Die vertonten vier Sätze des Ordinarium werden von mir in ihrer spezifischen architektonischen Gliederung nachvollzogen. Der Verzicht auf jegliche Art von Sprachmelodie ermöglichte mir dabei eine differenzierte musikalische Semantik. Durch diese weit gefächerte Ausdrucksskala konnte ich in Kyrie und Agnus Dei den Introitus zum Marienfest Gaudeamus omnes in domino in die Gesamtform wie ein geheimes Motto einbeziehen.

Frank Michael Beyer

zurück