Musik für ca. 16 Saiten

6. Konzert
Berner Streichquartett


GEORGE CRUMB: Black Angels (Dreizehn Bilder des Dunklen Landes) (Bilder I) für elektrisches Streichquartett (1970)

I. Weggang

1.     Threnos I: Nacht der elektrischen Insekten (Tutti)

2.     Klänge von Knochen und Flöten (Trio)

3.     Verlorene Glocken (Duo)

4.     Teufels-Musik (Solo: Cadenza accompagnata)

5.     Danse Macabre (Duo)
(Duo alternativo: Dies Irae)

II. Abwesenheit

6.     Pavana Lachrymae (Der Tod und das Mädchen) (Trio)
(Solo obbligato: Insektenklänge)

7.     Threnos II: Black Angels! (Tutti)

8.     Sarabanda de la Muerte Oscura (Trio)
(Solo obbligato: Insektenklänge)

9.     Verlorene Glocken (Echo) (Duo)
(Duo alternativo: Klänge von Knochen und Flöten)

III. Rückkehr

10. Gottesmusik (Solo: Aria accompagnato)

11. Alte Stimmen (Duo)

12. Alte Stimmen (Echo) (Trio)

13. Threnos III: Nacht der elektrischen Insekten (Tutti)

Black Angels (Dreizehn Bilder des dunklen Landes) war als eine Art Gleichnis auf unsere von Unheil bewegte heutige Welt gedacht. Hierauf beziehen sich die zahlreichen quasi-programmatischen Anspielungen, wenngleich der zentrale Gegensatz - Gott-Teufel - mehr als eine rein metaphysische Realität bedeutet. Das Bild des "schwarzen Engels" ist ein traditionelles Mittel, mit dem die mittelalterlichen Maler den gefallenen Engel darstellten.

Die Black Angels zugrundeliegende Struktur ist ein großer bogenartiger Entwurf, der zwischen die drei "Threnoi" eingelassen ist. Das Werk beschreibt die Reise der Seele. Deren drei Stadien sind Weggang (Abfall von der Gnade), Abwesenheit (geistige Vernichtung) und Rückkehr (Erlösung).

Wenn die Zahlensymbolik von Black Angels dem Ohr auch nicht immer vernehmlich ist, so wird sie genau in der musikalischen Struktur widergespiegelt. Diese "magischen" Verhältnisse drucken sich auf verschiedene Weise aus: so z.B. als Phrasenlänge, Gruppe einzelner Töne, Dauern, Wiederholungsmuster u.ä. Ein wichtiges Tonhöhenelement in diesem Werk - die absteigende Folge E, A, Dis - symbolisiert zugleich die Schicksalszahlen 7 bis 13. An bestimmten Punkten der Partitur erscheint eine Art ritualisiertes Zählen in verschiedenen Sprachen, darunter Deutsch, Französisch, Russisch, Ungarisch, Japanisch und Suaheli.

Es finden sich in Black Angels die verschiedenartigsten Allusionen an tonale Musik: ein Zitat aus Schuberts Streichquartett "Der Tod und das Mädchen" (in der Pavana Lachrymae und als mattes Echo auf der letzten Seite des Werkes); eine originale stilistisch synthetische Sarabande; das durchgehaltene B-Dur in der Gottesmusik; und verschiedene Anklänge an die lateinische Sequenz Dies Irae. Reichlich vorhanden sind klassische musikalische Symbole wie der Diabolus in musica (das Tritonusintervall) oder auch der "Teufelstriller" (aus Tartinis gleichnamiger Sonate).

Die elektrische Verstärkung der Streichinstrumente bringt höchst surrealistische Effekte hervor. Dieser Surrealismus wird durch die Verwendung bestimmter ungewöhnlicher Streichereffekte erhöht: durch Pedaltöne (die bewusst obszönen Klänge der Teufelsmusik); Streichen auf der falschen Seite der Saiten (um Effekte zu erzeugen, die an ein Violen-Consort erinnern); Trillern auf der Saite mit einem Fingerhut auf dem Finger. Die Spieler bedienen außerdem Maracas, Tam-Tams und mittels Wasser gestimmte Gläser, die in der Gottesmusik auch wie bei einer Glasharmonika mit einem Bogen gestrichen werden.

Black Angels war ein Kompositionsauftrag der University of Michigan und wurde vom Stanley Quartet uraufgeführt. Die Partitur trägt die Unterschrift: "beendet am Freitag, den 13. März 1970 (in tempore belli)".

George Crumb


KLAUS HUBER: Von Zeit zu Zeit (1984/85)

Das zweite Streichquartett entstand in der jetzigen Fassung in den Jahren 1984 und 1985, nimmt aber auch frühere Konzeptskizzen auf, die ich immer wieder zurückstellte, besonders, weil mir die Konzentration auf mein oratorisches Werk 'Erniedrigt-geknechtet-verlassen- verachtet' (1975 / 1978-1983) weder Zeit noch Kraft übrigließ, mich auf ein zerbrechliches kammermusikalisches Vorhaben einzustellen. Anstelle einer Werkeinführung (wie solche immer noch üblich sind) möchte ich allgemeine Überlegungen zur Situation des Kunstschaffenden und zum Schaffensprozess, wie sie mich während der Arbeit am Streichquartett beunruhigend herausforderten, formulieren. - Zum Streichquartett selber nur soviel, dass in ihm die Auseinandersetzung mit der Problematik musikalischer Zeitstruktur und Zeitrezeption auf verschiedensten Ebenen, in differenziertesten Räumen das innerste Thema meiner Arbeit war.

Klaus Huber

Der Text von Klaus Schweizer kann hier nicht veröffentlicht werden!


HELMUT LACHENMANN: Gran Torso (1971/72)

Die Konventionalitäten der Einrichtung "Streichquartett", einer mittlerweile über 200 Jahre alten Klanggemeinschaft, die spieltechnischen Möglichkeiten der vier Instrumente als Ensemble, die Verdichtung komplexer kompositorischer Prozesse auf vier einzelne, verwandt tönende Stimmen, sind in Gran Torso ganz und gar ausgenutzt. Sie werden aber gleichzeitig zu Bruch komponiert, so dass die Komposition nicht nur einlöst, was der Titel meint, sondern ebenso verursacht, was er bedeutet: Gran Torso - vollendete Unvollendetheit, unabgeschlossene Vollkommenheit. Gilt die sprachliche Metapher "ein großer Wurf' als das besondere Prädikat für eine Komposition, die alle Dimensionen der gewählten Mittel in einer wie auch immer gearteten Einheit zusammenfügt, so bleibt in Gran Torso auch das Gegenteil wahr: Der Wurf lässt das Große auseinanderbrechen in Bruchstücke, die ihre partielle Einzigartigkeit bewahrt haben, zugleich aber Teil eines Ganzen bleiben. Wohl finden sich in jedem der Teilstücke Bestandteile der anderen, aber durch das Auseinanderbrechen haben diese Bestandteile andere Gestalt angenommen.

Der vollständige Text von Hans-Peter Jahn kann hier nicht veröffentlicht werden!

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