Musik für ca. 16 Saiten

3. Konzert
Leonardo-Quartett


PAULINE OLIVEROS: The Wheel of Time

The Wheel of Time ist kein Streichquartett im herkömmlichen Sinn; anstelle einer ausnotierten Partitur ist den Spielern nur ein Material· gegeben, mit dem sie verbal aufgezeichnete Prozesse erfüllen. Alle Tonhöhen des Stückes stammen aus dem Obertonspektrum (1-64). Den Spielern stellt sich die Aufgabe, mittels der Energien vorgestellter Bilder miteinander musikalisch in Beziehung zu treten (Energien von Erde, Feuer, Wasser, Wind, Himmel, Berg). Die Tondauern sind teilweise durch die Länge des Atems der Spieler festgelegt. Geistig baut das Stück auf der reichen Erfahrung von Oliveros mit den Philosophien und Religionen des Ostens auf.

CHRISTIAN WOLFF: String Quartet Exercises out of Songs (1974-76)

String Quartet Exercises out of Songs wurden 1974, noch während Wolffs Aufenthalt als Gast des Berliner Künstlerprogrammes, begonnen und 1976 beendet. Sie entstanden in Wolffs späterer Phase politisch engagierten Komponierens, wobei es vielleicht nicht ganz ohne Einfluss blieb, dass Cornelius Cardew im Jahr davor mit einem Stipendium des Künstlerprogrammes in Berlin zu Gast war. Berlin - und hier sei auch an die Anfänge der "Musik-Projekte" erinnert - war zu jener Zeit ein Zentrum der Bemühung um eine gesellschaftlich bewusste Musik.

Der vielteiligen Komposition liegen verschiedene Lieder zugrunde. Der erste Teil

ist eine Art Phantasie-Variation über eine chinesisches Volkslied aus den vierziger Jahren, das als Revolutionslied diente: 'Arbeiter und Bauern sind eine Familie'.

Am Beginn der Exercises wird dieses Lied unisono von allen Instrumenten des Ensembles gespielt, um dann variativen Veränderungen unterworfen zu werden, die den Unisono-Charakter wie auch die straffe rhythmische Bestimmung der Vorlage beibehalten. Wolff fordert, dass auch in dem von ihm als Phantasievariationen charakterisierten Teil die erste und zweite Geige - so weit als möglich - unisono spielen.

Dem dritten Teil der Exercises, der nach Wolffs Zählung den zweiten Teil der eigentlichen Komposition bildet (denn das anfangs gespielte chinesische Revolutionslied rechnet er nicht eigentlich zum Stück dazu), liegt Hanns Eislers "Komintern-Lied" zugrunde. Das Unisono der Variationen des ersten weicht einem Satz, der eher an die klassische Konvention "Streichquartett" gemahnt; vielleicht als eine Art Würdigung der musikalischen Wurzeln Eislers.

Zwei Songs der Bergarbeiter aus dem Harlan County nach Worten von Florence Reese bilden das Zentrum des dritten Teiles: Which Side are You On? und Freedom has Changed the Face of the Earth. Die Satzweise, die der Komponist für diesen Teil benutzt, ist durchaus erstaunlich: über weite Strecken des Satzes bedient sich Wolff einer mittelalterlichen Technik, dem Hoquetus. Der Verlauf wird auf vier einander abwechselnde und ergänzende Stimmen verteilt. In diesen Verlauf sind die zwei Songs gleich kleinen Enklaven eingelassen.

Es wird schwer zu sagen sein, inwieweit diese so unterschiedliche Gestaltung der drei Sätze als Entsprechung zum Gehalt der jeweils zugrunde liegenden Sätze gelesen werden kann. Jedoch würde es jener damals diskutierten Praxis einer "musique engagée" auch 'nicht widersprechen. Der - gerade auch auf Eisler sich berufende - Versuch wurde gemacht, musikalische Formen als gesellschaftliches Gleichnis zu deuten.

Den Spielern wird dabei gemäß den musikalischen Vorstellungen jener Zeit, ein vergleichsweise großes Maß an gestalterischer Freiheit gelassen:

Die Musik kann insgesamt als Material für einen flexiblen Gebrauch angesehen werden. Die Songs, die jedem der Teile zugrunde liegen, mögen als eine Art Ausgangspunkt (für das Tempo und den allgemeinen Geist der Interpretation) verstanden werden, dennoch aber steht es den Spielern frei, Tempowechsel vorzunehmen, bestimmte Artikulationen durchzuführen, andere Klangfarben auszuwählen (die wenigen Angaben sind nicht bindend zu verstehen) usf. Die Interpreten sollen darauf achten, dass sie nicht zu introvertiert spielen.


MORTON FELDMAN: Clarinet and String Quartet (1983)

Das späte kompositorische Schaffen Morton Feldmans stellt den Hörer vor nicht geringe Probleme. Er sieht sich einer Musik gegenüber, an der selbst stark abstrahierte Kategorien klassischen Hörens weitgehend abprallen. Doch auch die technische Analyse führt dabei nicht zu dem befreienden Zauberwort, das durch den Verweis auf die Struktur "hinter" der Komposition der akustischen Erscheinung einen aposteriorischen Sinn verleiht. Schon die Frage, wie ein rund 45-minütiges Stück Musik wie Clarinet and String Quartet zu hören sei, ist dazu angetan, auch den gutwilligen Hörer in eine gewisse Verlegenheit zu bringen.

Der vollständige Text von Klaus Ebbeke kann hier nicht veröffentlicht werden!

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