INVENTIONEN'86                                                                                              Samstag, 15.2.1986
Sonderkonzert                                                                                                    20:00 Uhr
Kirche Maria Regina Martyrum


OLIVIER MESSIAEN:
Méditations sur le Mystère de la Sainte Trinite
(Meditationen über das Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit)

Das Verfahren, Buchstaben durch Töne auszudrücken, ist schon andeutungsweise von Bach (b-a-c-h) und Schumann (a-s-c-h) benutzt worden. In diesen Fällen war das möglich, weil die verwendeten Buchstaben im Deutschen auch Notennamen sind. Messiaen führt dies Verfahren zu Ende, indem er jedem Buchstaben einen Ton in einer bestimmten Oktavlage und einer bestimmten Dauer zuordnet. Die so, Buchstabe um Buchstaben zusammengesetzten Texte ergeben also eine völlig willkürliche melodische Bildung. (Sicherlich sind, abgesehen von den übernommenen deutschen Ton-Buchstaben, auch geheime Prinzipien bei der Zuordnung am Werke gewesen: es fällt z.B. auf, dass die am häufigsten gebrauchten Buchstaben e, n, r, s alle nur um einen halben Ton voneinander entfernt liegen.)
Diese Willkürlichkeit ist Messiaen auch bei der Podiumsdiskussion anlässlich des zweiten Düsseldorfer Messiaen-Festes 1972 vorgeworfen worden. Seine Antwort darauf ist mitteilenswert: dies Verfahren hätte einen doppelten Sinn, nämlich einen bekenntnishaften und einen musikalischen. Zum Bekenntnishaften: " … Eines Tages werde ich tot sein. Vielleicht wird man sich irgendwann in Zukunft nicht mehr an die Überschrift meines Werkes erinnern, und die einzelnen Teile tragen ja keine Titel. Aber in der Musik, in den Noten lege ich meine Überzeugung dar. Im dritten Satz ist der zentrale Gedanke des Werkes enthalten, nämlich: In Gott gibt es keinen Unterschied zwischen der Relation und der Essenz. Wir Menschen sind gut oder böse, dumm oder klug, wir können besser oder schlechter werden. Nicht so Gott: es wird ihm weder etwas hinzugegeben noch ihm etwas genommen. Wir Menschen leben in Beziehungen (Relationen) miteinander und zueinander. Gott ist in sich und alle Personen sind in ihm, und in ihm ist Relation gleich Essenz. Und wer Ewigkeit sagt und Allgegenwärtigkeit, nennt den Namen Gottes ... ich bin wie die ersten Christen, die eine geheime Schriftsprache erfunden hatten, die man … von allen Seiten in alle Richtungen lesen konnte und die stets ein Kreuz ergab mit Alpha und Omega, und die diese Kryptogramme an die Gewölbe schrieben, um sich einander zu erkennen zu geben und um sich vor ihren Verfolgern zu schützen … " Zum Musikalischen: " … ich entnehme Ihrer Kritik, dass sie mir vorwerfen, dass ich mittels dieser Sprachenstruktur nichts Originelles geschaffen habe, sondern mich vorfindlicher überkommener Mittel bedient habe. Nun, alles, was wir sagen, unser Alphabet, unsere ganze Sprache ist aus Konvention entstanden … Jannis Xenakis z.B., hat sich der IBM-Rechner bedient und mittels eines Rechenprogramms, welches auch auf Konventionen beruht, eine musikalische Struktur gefunden, die ein Ergebnis von schrecklichen Zufällen ist. Aber er hat damit außerordentliche Themen gefunden, die er mittels Notenpapier niemals gefunden hätte, selbst wenn die Musik scheinbar hässlich klingt. Genauso hätte ich niemals die Ausdrucks- und Farbmittel gefunden, wenn ich nicht diese Sprachstruktur gefunden hätte, die mir diese Aussage erst möglich machte … "
Aus:
S. Ahrens, H.-D. Möller, A. Rößler:
"Das Orgelwerk Messiaens"


KARLHEINZ STOCKHAUSEN: Gesang der Jünglinge

Der "Lobgesang der drei Jünglinge" ist eine Folge von Akklamationen aus den Apokryphen zum Buch Daniel, also weitgehend Allgemeingut. Die, Komposition "Gesang der Jünglinge" bezieht sich auf die deutsche Fassung, die nach der Messe gebetet wird (es gibt mehrere gebräuchliche Übersetzungen des gleichen lateinischen Textes, von denen bei der Silben- und Wortauswahl je und je Gebrauch gemacht wurde). Es folgen die Zeilen, die das sprachliche Material stellten:

Preiset (Jubelt) den(m) Herrn, ihr Werke alle des Herrn -
lobt ihn und über alles erhebt ihn in Ewigkeit.
Preiset den Herrn, ihr Engel des Herrn -
preiset den Herrn, ihr Himmel droben.
Preiset den Herrn,   ihr Wasser alle, die über den Himmeln sind -
preiset den Herrn, ihr Scharen alle des Herrn.
Preiset den Herrn, Sonne und Mond -
preiset den Herrn, des Himmels Sterne.
Preiset den Herrn, aller Regen und Tau -
preiset den Herrn, alle Winde.
Preiset den Herrn, Feuer und Sommersglut -
preiset den Herrn, Kälte und starrer Winter.
Preiset den Herrn, Tau und des Regens Fall -
preiset den Herrn, Eis und Frost.
Preiset den Herrn, Reif und Schnee -
preiset den Herrn, Nächte und Tage.
Preiset den Herrn, Licht und Dunkel -
preiset den Herrn, Blitze und Wolken.

Das sind 9 Verse des Lobgesangs, der noch weitere 11 Verse in den gebräuchlichen Übertragungen enthält. (Anstelle von "Preiset" wurde je nach dem Zusammenhang "Jubelt" verwendet.)
Primär handelt es sich im Text um drei Worte (preiset den Herrn), die ständig wiederholt und in deren Zusammenhang allerlei Dinge aufgezählt werden. Es ist klar, dass man diese Aufzählung beliebig fortsetzen oder auch nach der ersten Zeile abbrechen sowie Zeilen und Worte permutieren kann, ohne den eigentlichen Sinn zu ändern: "alle Werke". Der Text kann also besonders gut in rein musikalische Strukturordnungen integriert werden (vor allem in die permutatorisch-serielle) ohne Rücksicht auf die literarische Form, auf deren Mitteilung oder anderes. Es wird mit den "Jünglingen" an ein kollektives Gedankengut erinnert: taucht irgendwann das Wort "preist" auf und ein andermal "Herrn" - oder umgekehrt -, so erinnert man sich eines schon immer gekannten sprachlichen Zusammenhangs: die Worte werden memoriert, und dabei geht es vor allem darum, dass sie überhaupt und wie sie memoriert werden, und sekundär um den Inhalt im einzelnen; die Konzentration richtet sich auf das Geistliche, Sprache wird rituell.

Aus: Karlheinz Stock hausen : "Musik und Sprache". in: "Darmstädter Beiträge zur neuen Musik". Mainz: 1958

BERND ALOIS ZIMMERMANN: Ekklesiastische Aktion

Die "Ekklesiastische Aktion" ist Bernd Alois Zimmermanns letztes Werk. Das Autograph trägt die Unterschrift "Fine O.A.M.D.G. - Groß-Königsdorf 5.8.1970". Zimmermann beendete das Werk fünf Tage vor seinem Tod. "Ich wandte mich … " stellt zwei Texte nebeneinander: die Verse aus dem 4. Kapitel des Prediger Salomonis und Passagen aus Dostojewskis Erzählung "Der Großinquisitor". Die Wahl des Bibelwortes verweist ihrerseits auf die Musikgeschichte, hat doch schon Brahms für den zweiten seiner "Vier ernsten Gesänge" op. 121 diesen Text herangezogen. Zimmermann jedoch entscheidet sich für eine Redaktion der Luther-Übersetzung, die eine persönliche Anklage über den sanktionierten Text hinaus formuliert. "Weh dem, der allein ist" sind die letzten Worte, die der Sänger improvisierend in einem Abschnitt vorträgt, den der Komponist "Weheklage" genannt hat.
Es fällt auf, dass Zimmermann Mittel einsetzt, die gewöhnlicher weise im Hörspiel ihren Ort finden. Diese Gegebenheit findet sich in zahlreichen Kompositionen Zimmermanns seit den fünfziger Jahren. Ein Grund hierfür ist sicher darin zu sehen, dass er über Jahre hinweg zahlreiche Hörspielmusiken geschrieben hat und so mit den Kunstmitteln der Gattung aufs Engste vertraut war. Zimmermann nutzt diese Elemente, um der musikalischen Komposition eine Ausdrucksebene zu erschließen, die auf eine größere Verbindlichkeit des Komponierten weist.

Wenn die "Ekklesiastische Aktion" auch durchaus als "letztes" Werk zu deuten ist, das vom Komponisten in dieser Absicht verfasst wurde, so ist es zugleich die letzte Manifestation eines großen Kantatenprojektes, das Zimmermann seit den mittleren fünfziger Jahren beschäftigte und das in einer Reihe von Kompositionen seit der Kantate "Om'nia tempus habent" (1956) verschiedenartige Ausformungen gefunden hat. Das prominenteste Glied dieser Kette ist sicher das "Requiem für einen jungen Dichter ", entstanden in den Jahren 1967 bis 1969. Zimmermanns Konzept der fünfziger Jahre sah als Grundschicht des großangelegten Werkes Texte aus dem Buch Prediger Salomonis vor, die sich als die eine der beiden Textebenen in der "Ekklesiastischen Aktion" finden. Auch die Konfrontation mit Dostojewskis "Großinquisitor" ist schon in jenem sehr frühen Stadium angelegt. Skizzen zeigen auch, dass Zimmermann noch weitere Texte mit diesen beiden Schichten konfrontieren wollte - so ein Gedicht Gottfried Benns -, dass diese aber in der späteren Arbeit wieder eliminiert wurden zugunsten des Dialogs nur dieser beiden Texte. Wenn man die Reihe der Kompositionen, die mit dem Kantatenprojekt in enger Verbindung stehen (es ist dies neben "Omnia tempus habent" und dem "Requiem für einen jungen Dichter" die Komposition "Antiphonen" für Solo-Bratsche und kleines Orchester) vergegenwärtigt, so lässt sich an ihnen die Entfaltung von Zimmermanns "pluralistischem" Gedanken deutlich nachvollziehen. Immer stärker werden "außermusikalische" Elemente in das Gefüge der Komposition einbezogen. Dies bewegt sich - von den Instrumenten, die in den Antiphonen zu sprechen beginnen, bis zur Hineinnahme von historischen Dokumenten ins "Requiem" -, jedoch immer auf der Ebene der Sprache. Die Gesten aber, die Sprecher, Sänger und Dirigent während der "Ekklesiastischen Aktion" zu vollführen haben, sprengen den Rahmen dessen, was Musik im Kontext des normalen Konzertes ausmacht. Man könnte darin eine Weitung der musikalischen Ausdrucksmittel sehen, gehen die Gesten doch direkt aus dem Prozess des Stückes hervor. Zugleich mögen sie aber auch die Kapitulation des rein Musikalischen vor Weltverhältnissen sein, die sich mit dessen Mitteln nicht mehr begreifen lassen. Der Komponist bricht aus der stilisierenden Sphäre der Musik, die fast immer ja auch Harmonisierung bedeutet, aus. Das einzige musikalische Zitat, Bachs Chorals atz "Es ist genug", den bereits Alban Berg in seinem Violinkonzert benutzt, wird nach der Zeile "so spanne mich doch aus" brutal von einem Posaunenstoß, einem Paukenschlag und einem Tritonus der Streicher zum Verstummen gebracht. Mit dem letzten Intervall, dem Tritonus, das Zimmermann immer als das allerneutralste galt, hat der Komponist sich selber außer Kraft gesetzt. Die Komposition, die sich von dem einen Ton "a " aus entwickelte, findet keinen Abschluss, das Fanal der anfänglichen Posaune erscheint am Ende wieder, unversöhnt.
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