INVENTIONEN'85                                                                                              Samstag, 9.2.1985
14. Konzert / 2. Akademie-Konzert                                                                 21:30 Uhr
Akademie der Künste


HELMUT LACHENMANN: PRESSION FÜR CELLO SOLO

Das Stück, Werner Taube gewidmet, ist 1969 entstanden im Zusammenhang mit Vorstellungen von einer "instrumentalen Musique concrète". Gemeint war damit eine Musik, deren akustische Eigenschaften so organisiert sind, dass sie die konkrete Situation der Klang-Hervorbringung, die dabei wirkenden mechanischen Bedingungen und Widerstände ins Musik-Erlebnis einbeziehen. Instrumentale Spielverfremdung ergibt sich dabei logisch aus der Notwendigkeit, die energetischen Bedingungen, unter denen Klang entsteht, abzuwandeln und in verschiedenen Abstufungen zu verbinden. Nach außen bedeutet dies ein Angebot an den Hörer (und nicht – wie es bei diesem Stück oft einseitig interpretiert wurde – eine "Verweigerung"): das Angebot, zu hören im Sinn von "anders hören". Im Licht eines so bewusst reflektierenden Materialbegriffs wieder musikalischen Zusammenhang erfahren, müsste bedeuten: sich selbst erfahren.
Helmut Lachenmann


KARLHEINZ STOCKHAUSEN: SPIRAL

"Spiral" ist im September 1968 in Madison / Connecticut entstanden. Michael Lorimer, ein junger amerikanischer Gitarrist, kam im August 1968 nach Darmstadt. Er hatte mich schon des öfteren um eine Komposition für Gitarre gebeten und wollte mir alle Möglichkeiten des Gitarrespiels und der bereits vorhandenen Kompositionen für Gitarre zeigen. Ich begann im September mit einer Komposition für Gitarre, kam aber einfach nicht voran, da ich nicht den nötigen Enthusiasmus hatte, bei jedem Akkord, bei jeder Passage die FingersteIlungen auszuprobieren. Endlich legte ich die Arbeit beiseite und begann mit der Komposition "Spiral", die an die früheren Prozess-Kompositionen "Prozession" und vor allem "Kurzwellen" anknüpfte, und die sich – nach den Erfahrungen der ersten Aufführungen der Textkompositionen "Aus den sieben Tagen" – in den Anforderungen des Spiralzeichens an den Spieler auf 'metamusikalische Erfahrungen' richtete.
In "Spiral" werden Ereignisse, die ein Solist mit einem Kurzwellenradio empfängt, imitiert, transformiert und transzendiert.
Außer dem Radio kann er ein beliebiges Instrument, mehrere Instrumente, Instrument und Stimme, oder nur die Stimme benutzen.
Zur räumlichen Projektion und Verstärkung von Instrument, Stimme und Kurzwellenklängen benötigt er Mikrophone und wenigstens zwei Lautsprecher.
Besitzt nicht nahezu jeder einen Kurzwellenempfänger? Und hat nicht jeder eine Stimme? Wäre es nicht für jeden eine künstlerische Lebensform, das Unvorhergesehene, das man aus einem Kurzwellenradio empfangen kann, in neue Musik zu verwandeln, das heißt, in einen bewusst gestalteten Klangprozess, der alle intuitiven, denkerischen, sensiblen und gestalterischen Fähigkeiten wachruft und schöpferisch werden lässt, auf dass sich dieses Bewusstsein und diese Fähigkeiten spiralförmig steigern?
Karlheinz Stockhausen 1970

Das Radiogerät als Sender
Einer Konzeption von Musik, die um die Unvorhersehbarkeit und Gleichwertigkeit aller Ereignisse (und durchaus nicht allein der klanglichen) kreist, empfiehlt sich das Radiogerät als das angemessenste Instrument, als geradezu kongeniale Schallquelle. Die herkömmlichen Musikinstrumente sind deshalb zwar noch lange nicht tabuisiert, können aber trotz einer Vielzahl von Präparationsmöglichkeiten, auch in Verbindung mit alltäglichen, akustisch relevanten 'objets trouvés', ihren Klangcharakter nur bis zu einem gewissen Grade verleugnen. Nicht viel anders steht es etwa mit einer Schallplattensammlung, betrachtet man sie als Materialspeicher; sie repräsentiert ein jeweils fest umrissenes Repertoire an Werktiteln, dem man durch geeignete Auswahlverfahren soweit gerecht werden kann, dass schließlich ein neues Stück entsteht, das den Geist dieser Sammlung und den ihres Besitzers reproduzieren wird. Dagegen hat der Radioapparat den Vorzug, eben nicht allein Musik (oder allenfalls noch Literatur, Dokumentarisches) wiederzugeben, sondern in wie immer auch ideologisch verzerrter Form Momentaufnahmen aus den verschiedensten Bereichen gesellschaftlicher Aktivität.
Aus: "Medienkomposition nach Cage" von Hans Rudolf Zeller


IANNIS XENAKIS: KOTTOS

"Kottos" wurde 1977 als Pflichtstück für den Internationalen Wettbewerb für Cellisten in La Rochelle (Frankreich) geschrieben. Es ist ein schwieriges Werk, und es hat gezeigt, dass junge Cellisten heute wohl in der Lage sind, solche Werke perfekt aufzuführen.
"Kottos" ist der Name einer der hundertarmigen Riesen, gegen die Zeus kämpfte und die er besiegte; eine Anspielung auf die zornige Energie und die Virtuosität, die nötig ist, um das Werk aufzuführen.

 


JOHN CAGE: A BOOK OF MUSIC

"A Book of Music" wurde am 21. Januar 1945 in der New School for Social Research in New York von Robert Fizdale und Arthur Gold uraufgeführt. Zusammen mit den "Sonatas" und "Interludes" aus dem Jahre 1946 ist es das umfangreichste Werk für präparierte Klaviere. Cage benutzt rhythmische Strukturen und Tonreihen, die die Proportionen des Werkes bestimmen. Alle Aspekte des Klanges – einschließlich der Präparationen – sind von Cage genau festgelegt, um, wie er sagt, persönliche und musikalische Gefühle auszudrücken.
Eberhard Blum



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