INVENTIONEN'84                                                                                              Dienstag, 14.2.1984
6. Konzert: EMS Stockholm                                                                               20:30 Uhr
TU-Gebäude Ackerstraße


JAN W. MORTHENSON: DIAPHONIA

Mit dem antiken Ausdruck "Diaphonia" bezeichnete man die Intervalle, die mehr dissonant als die konsonantischen "Symphoniae" Prime, Oktave, Quarte und Quinte waren. Diese weite Bedeutung des "Auseinanderklingens" gilt in meiner Komposition auch für das Verhältnis von "natürlicher" Pianostimme und den mehr oder weniger verwandten elektronischen Klängen. Vom Piano ausgehend verbreiten sich Ringe aus einfachen Verbänden, aber auch aus jähen Kontrasten. Der Pianoklang wird schwebend, unsicher, bis er zuweilen zerbricht und in ganz andersartige Klangfarben übergeht. In einigen Momenten hört das Spielen ganz auf und wird von Einstellungen an den Apparaten ersetzt. Zum überwiegenden Teil ist Diaphonia jedoch traditionell notierte Musik, sowohl für das Klavier als auch für dessen programmierten Kontrahenten - den digitalen Synthesizer.
Der erste Teil der Komposition hat einen improvisierenden, suchenden Charakter. Der Tonvorrat bildet hier Serien für den folgenden, deutlicheren und exakteren Teil: das freie Spiel erstarrt allmählich zu prägnanten Formen, und gleichzeitig nehmen die klanglichen Verschiedenheiten zu. Das Zusammenspiel zwischen Piano und Synthesizern wird spannungsreicher, bis gegen Ende schließlich die kompositionstechnischen, harmonischen und formalen Prinzipien zusammenstürzen.
Musik, die auf Beziehungen zwischen instrumentalem Vortrag und Elektronik aufgebaut ist, wird oft philosophisch ausgedeutet. In Diaphonia habe ich dagegen versucht, reine musikalisch-klangliche Relationen zwischen Instrumentalist und Tonband zu finden. Mehr absolute dynamische Musik als einen programmatischen Kommentar.
Jan W. Morthenson  (Übersetzung: Ulli Heyden)


LARS-GUNNAR BODIN: MEMOIRES DU TEMPS D'AVANT LA DESTRUCTION

Wie viele Menschen überall auf der Welt befürchte auch ich einen nuklearen Krieg. Um noch einigermaßen mit diesem fürchterlichen Gedanken leben zu können, habe ich "Memoires" komponiert, sozusagen als Selbsttherapie. Ich habe in diesem Stück in einer musikalischen Form auszudrücken versucht, wie menschliche Reaktionen, Empfindungen und Stimmungen sein könnten, wenn Gewissheit besteht, dass die nukleare Katastrophe mit dem Ergebnis der totalen Zerstörung kurz bevorsteht. Die Komposition beschreibt psychologische Zustände aus dem Gefühl der Hilflosigkeit, Angst, Gleichgültigkeit, Qual, des Zorns, Realitätsverlustes, …


ROLF ENSTRÖM (MUSIK), THOMAS HELLSING (BILD): FRACTAL (LIGHT MUSIC)

In "Fractal" entspringen Musik und Bild aus einer gemeinsamen Struktur. Absicht ist, die beiden verschiedenen Medien zu koordinieren, ohne in Konventionen zu verharren. Eines der Probleme bei der Kombination von Musik und Bild ist, dass das Bild in höherem Grade als die Musik die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen scheint, wenn die Musik "dasselbe" wie das Bild aussagt. Man kann auch sagen, dass die Musik Teil des "Bildinhaltes" ist. Es ist auch nicht so einfach, Musik und Bild voneinander losgelöst zu behandeln. Ziel muss ein sinnvoller Austausch zwischen den Medien sein. In "Fractal" ist der Kontakt zwischen den Medien rein strukturell bedingt. Eigentliche Assoziationen zwischen Musik und Bild sind nicht absichtlich, aber natürlich existieren ideenmäßige Berührungspunkte zwischen ihnen. Ausgangspunkt für die Bilder in "Fractal " ist konkretes Material - in diesem Falle Fotoporträts, Fotos von Straßen und Landschaften, die auf grafischem Film in sieben bis acht verschiedenen Phasen bearbeitet worden sind. Auf die gleiche Weise durchläuft das musikalische Material mehrere Stadien: Korrosion, Zerlegung in einzelne Bestandteile und Wiederaufbau. Die gemeinsame Formstruktur mit ihrer festen Logik ist auf die gleiche Weise verändert worden.
"Fractal" ist im EMS (Stockholm) komponiert worden. Hauptsächlich kommt das Material von VI-, Vla-, Vlc- und Kb-Klängen. Analoge Verarbeitung im Multitrackstudio mit Buchla-Synthesizer und Yamaha DX7.  Digitalstudio: PDP 15 mit IMPAC-Programm. Digital/Analog-Umwandlung: VAX 11/750 mit Fortran und Chant (IRCAM).
" Fractal " ist ein Auftragswerk des "Rikskonserter" in Schweden 1983.

Rolf Enström/Thomas Hellsing;
(Übersetzung Cecilia Boldeman-Wester)


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